50 Elektro-Geheimtipps, Teil 2: 1977 – 1989


Diese 50 Platten aus sechs Jahrzehnten elektronischer Musik stehen sicherlich nicht in jeder Sammlung, wären dort aber sehr gut aufgehoben.

Gelangweilt von den immer gleichen Bestenlisten? Im Oktober-Heft 2010 haben wir die jeweils 50 besten, aber weitgehend unbekannten Alben aus den Genres Indie, Electro, Folk, Hip Hop und Avantgarde zusammenstellt. Das Indie-Genre machte den Anfang. Hier findet Ihr die Texte von Musikexpress-Redakteur Albert Koch zum zweiten Teil der 50 Elektro-Geheimtipps, Deezer-Playlist inklusive. Den ersten Teil gibt es hier, den vollständigen Artikel können sich Nutzer unseres Archivs natürlich jederzeit ansehen.

Space – Magic Fly (1977)

„Magic Fly“ war 1977 weltweit in den Top 10 der Singlescharts, in Deutschland sogar auf Platz eins. 33 Jahre später kennt kaum mehr jemand das Projekt des Franzosen Didier Marouni. Zu unrecht. Erstmalig kam hier der experimentell-kosmische Charakter der elektronischen Musik mit der Tanzbarkeit von Disco zusammen. Anklänge des melodiösen und barocken Electro-Pop von Space sind in der Musik von Franzosen wie Air, Sébastien Tellier und Justice zu finden.

Klaus Schulze – Mirage (1977)

Im Innencover seines achten Soloalbums seit dem Ausstieg bei Tangerine Dream bezeichnete Klaus Schulze die Kompositionen als „Eine elektronische Winterlandschaft“. Der Berliner Musiker schuf eine symphonische Dichtung für Synthesizer, ein tönendes Gemälde aus zwei knapp halbstündigen Tracks – kosmische Musik, Proto-Ambient, sphärisch, ohne Beats, eiskalt und kristallklar wie eine Winternacht.

Pyrolator – Inland (1979)

1979, ein Jahr vor dem Der-Plan-Debüt GERI REIG, veröffentlicht Pyrolator, ein Gründungsmitglied von Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Mitglied bei Fehlfarben und den genialen Dilettanten von Der Plan, sein erstes Soloalbum. Mit einem frisch gekauften Korg-Synthesizer und einem Sequencer macht er sich daran, politischen Widerstand in Instrumentals auszudrücken. Auftrag erfüllt – mit nerviger Radikalität, ambientartigen Strukturen und Poppigkeit.

The Flying Lizards – The Flying Lizards (1979)

Beinahe beiläufig gelangen dem britischen Avantgardekomponisten David Cunningham mit Coverversionen zwei mittlere Hits: „Summertime Blues“ und „Money“. Minimalistische Dekonstruktionen von Klassikern der Rockgeschichte, die als Ironie missverstanden wurden, passten wunderbar in die bilderstürmerische New-Wave-Ära – und die Plattenfirma verlangte nach einem Album. Sie bekam THE FLYING LIZARDS mit elektronischen, dub-nahen Experimenten im Poprahmen und einer seltsamen Version von Brecht/Weills „Mandelay Song“.

Silicon Teens – Music For Parties (1980)

Der Mann hinter der einflussreichen 1978er One-Single-Punk-Band The Normal („Warm Leatherette“) war der Gründer von Mute Records, Daniel Miller. Zwei Jahre später nahm Miller ganz allein mit seinem Synthesizer ein Album auf. Die fiktive Band Silicon Teens spielte mehrheitlich Versionen von Rockklassikern aus den 50er- und 60er-Jahren.: „Yesterday Man“, „You Really Got Me“, „Let’s Dance“ in fiepsig-piepsigen, dem Zeitgeist der New Wave entsprechend beschleunigten, minimal-elektronischen Arrangements.

Patrick Cowley – Megatron Man (1981)

Giorgio Moroder war Ende der Siebziger für die volle Elektronifizierung von Disco verantwortlich. Der Produzent Patrick Cowley, 1982 mit 32 Jahren als frühes, prominentes HIV-Opfer gestorben, führte die Idee fort. Galoppierende Rhythmen, Four-to-the-floor-Beat, hymnische Melodielinien, perlende Arpeggios, atemberaubende Effekte und Vocoderstimmen bestimmten seine Songs. Hi-NRG wieder als Keimzelle von House.

Antena – Camino Del Sol (1982)

Die französisch-belgische Band hatte das Pech, ihre Platten auf dem belgischen Ableger des Factory-Labels (Joy Division, New Order) zu veröffentlichen, in das die Mutter in England nicht viel Energie steckte. Trotzdem wurde das Minialbum CAMINO DEL SOL und vor allem sein Titelsong über die Jahrzehnte immer wieder neu entdeckt – zuletzt 2006 durch den Re-Release des Labels Permanent Vacation, das Antena den Neo-Disco-Jüngern näherbrachte. Die Musik: fluffig-leichter, beizeiten melancholischer Bossa-Nova-naher elektronischer Dreampop, der die Musik von Bands wie Stereolab und Air um ein Jahrzehnt vorwegnimmt.

Reinhard Lakomy – Das geheime Leben (1982)

Komponist Reinhard Lakomy aus Magdeburg ist vor allem durch Kinderhörspiele bekannt. In den Achtzigern veröffentlichte er in der DDR drei Platten mit elektronischer Musik. DAS GEHEIME LEBEN orientiert sich an der Sequencer-getriebenen Musik der mittleren Tangerine Dream, circa 1977, dazu ein paar rhythmisch aufgeladene Passagen, die eine fast italo-discoide Stimmung verbreiten.

Cybotron – Enter (1983)

Kurz darauf kam Detroit Techno: Cybotron, 1980 von Juan Atkins und Richard Davis gegündet, fusionierten als frühe Elektroband den Funk von George Clinton mit dem Techno-Pop Kraftwerks zu einem hypnotischen, futuristischen Proto-Techno. Der Titeltrack ist ein Musterexemplar an frühem Eklektizismus in der elektronischen Musik: ein vokaler, quietschiger, vom Funk beeinflusster Synthiepop-Song mit Metal-Gitarren.

Virgo – Virgo (1989)

Die großen Vergessenen des Chicago House: Eric Lewis und Merwyn Sanders hätten allein mit ihren zwei ersten 12-Inches für das Trax-Label, die auf diesem Album versammelt sind, Legendenstatus erreichen müssen. Das zwischen Techno und House hin und hergerissene „In A Vision“, das piano-getriebene „Going Thru Life“ sind so zeitlos in Melodie und Sounddesign, dass sie auch auf einer aktuellen DFA-Maxi vorstellbar wären.

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