450 Mark für ein Konzertticket? Und das, obwohl die Strokes gestern noch Nobodys waren? Heute flippen ihre Fans völlig aus. Zu Recht.
Zugegeben: Die Kollegen vom durchaus renommierten „New Musical Express“ nehmen den Mund manchmal ganz schön voll. Müssen sie aber auch. Denn die Briten müssen Woche für Woche eine Rock’n’Roll-Zeitung an den Start bringen und somit 52mal im Jahr um Käufer kämpfen. Und wie gewinnt man die Schlacht am Kiosk noch am wahrscheinlichsten? Ganz einfach: indem man 52mal im Jahr die größte Band der Welt entdeckt. Nun wird der Rock’n’Roll bekanntermaßen nicht jede Woche neu erfunden. Im Falle der Strokes aber ist die Euphorie bei den Blattmachern im Vereinigten Königreich durchaus zu verstehen. Ob das Quintett aus Amerika nun wirklich „New Yorks aufregendste Band seit 25 Jahren“ ist, wie der „New Musical Express“ tönt, sei dahingestellt. Keinen Zweifel aber kann es daran geben, dass die Strokes im alltäglichen Rock-Einerlei eine erfreuliche Ausnahmeerscheinung sind. Wer’s nicht glauben mag, möge sich nur mal ihr Debütalbum anhören („Is This It“ erscheint am 27. August bei BMG/RCA). Da scheppern die Gitarren wie zu besten Velvet-Underground-Zeiten, da gehen Rock’n’Roll-Ruppigkeit und melodiebewusstes Songwriting im Stil der Post-Punk-Ära eine wunderbare Freundschaft ein (ausführliche Plattenbesprechung auf Seite 57). Derweil greift die Strokes-Begeisterung in Großbritannien weiter um sich. „The Face“, ausgewiesenes Fachblatt für den feineren Geschmack innerhalb der einschlägigen Szene, widmete den fünf Amis gerade eine siebenseitige Geschichte. Tenor: Die Strokes sind die bandgewordene Coolness.
So viel Enthusiasmus, und zwar in Kreisen anerkannter Hipster, bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Um bei einem Auftritt der Strokes in dem Londoner Club mit dem verheißungsvollen Namen „Heaven“ dabei sein zu können, zahlten ein paar beinharte Briten auf dem Schwarzmarkt Preise bis zu 450 Mark pro Ticket. Pop-Promis wie Chrissie Hynde, Neil Tennant und Kate Moss dürften allerdings billiger reingekommen sein. Konzertbesucher Andy Stonebridge, der vom „New Musical Express“ zitiert wurde, fasste im Anschluss an die Show zusammen, was die meisten fühlten: „They are so fucking cool.“
Aber nicht nur cool Britannia wird landesuntypisch hot, wenn es um die Strokes geht. Auch andere Territorien sind inzwischen vom Strokes-Virus infiziert. Schweden zum Beispiel. In einer zum Kulturzentrum umgebauten Brauerei in Stockholm das gleiche Bild wie kurz zuvor in London: Euphorie, wohin das Auge blickt. Und das bei einer Band, die bis vor kurzem keiner kannte. Wo also rührt sie her, die überschwängliche Begeisterung für die fünf jungen New Yorker, bei denen Sänger Julian Casablancas mit seinen 22 Jahren bereits der Senior ist? Schwere Frage? Mitnichten! Anders als die meisten jungen Bands versuchen die Strokes nicht cool zu sein, sie sind es. Das gilt für ihren Sound, der als Mischung aus angenehm Bekanntem und unerwartet Neuem erfreulich frisch und mindestens so druckvoll aus den Boxen drängt, das gilt aber auch für das Erscheinungsbild der Boys aus dem Big Apple. Der Nu-Metal-Look à la Limp Bizkit mit albern kurzen Hosen und völlig verdrehten Käppis hat im Hause Strokes keine Konjunktur (immerhin gründete Sänger Julians Vater John Casablancas die in Laufstegkreisen legendäre „Elite Modelling Agency). Nein, die Strokes setzen auf einen Look aus legerer Lederjacke und Second-Handjackett zu Hemd und Krawatte. Das finden selbst Publikationen prima, die sich dem bisweilen schrillen Schick der jeweiligen Rock’n’Roll-Vortänzer sonst nur mit äußerster Vorsicht nähern.
Doch glaubt man dem im Interview freundlich vor sich hin näselnden Julian – neben dem Sänger bestehen die Strokes aus Drummer Fabrizio Moretti, den Gitarristen Nick Valensi und Albert Hammond sowie aus dem Bassisten Nikolai Fraiture – empfindet er das fulminate Echo der Presse auf seine Band mehr als Last denn als Lust: „Die aufregendste New Yorker Band seit 25 Jahren? Wer so was schreibt, will Zeitungen verkaufen. Wir sind eine gute Band, sicher. Aber gleich mit Superlativen zu arbeiten, ist völlig daneben. Wir machen Musik, das ist alles. Und zwar so gut, wie es unseren Fähigkeiten entspricht. Dabei ist uns völlig klar, dass wir noch viel besser werden müssen.“ Der Rest der amerikanischen Truppe stimmt ein in das britische Understatement ihres Sängers. Und das Dollste daran: Man nimmt den ansonsten durchaus selbstbewussten Strokes ihre Tiefstapelei sogar ab. Wie sonst ließe sich erklären, dass man selbst heute noch „ever so delighted“ wäre, nur ein einziges Mal im Vorprogramm der Gebrüder Gallagher auftreten zu dürfen. Und das, obwohl Oasis ja nun wirklich nicht mehr den höchsten Coolness-Faktor besitzen.
Die Verbeugung vor Oasis (Gitarrist Nick: „Die haben Riesiges auf die Beine gestellt“) macht es deutlich: Dem ganzen Hype der Medien zum Trotz sind die Strokes bislang brav auf dem Teppich geblieben. Was nicht weiter stören würde und sogar ganz sympathisch wäre, wenn die New Yorker in ihrem tiefsten Inneren nicht genau wüssten, dass sie erst noch groß werden. Oasis waren es mal.
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