1978-2023: 45 Post-Punk-Songs, die vor 45 Jahren erschienen sind
1978 gilt gemeinhin als das Discojahr schlechthin. Zeitgleich wuchs aber auch andere, weniger funkelnde Musik über sich hinaus. Heute, 45 Jahre später, tun sich gesellschaftliche Parallelen zur damaligen Zeit auf. Ein musikalisch-politischer Blick zurück und in die Gegenwart. Mit Playlist!
Sinkende Lebensstandards, Arbeitskämpfe, Kriege und Konflikte: Zwischen den 70er-Jahren und der heutigen Zeit tun sich gesamtgesellschaftliche Parallelen auf. Naheliegend, sich deshalb auch die Musik der zweiten Hälfte des Jahrzehnts genauer anzuschauen. Die bestand nämlich aus mehr als Disco.
Das Disco-Jahr 1978
Am 27. Februar 1978 erschien Village Peoples Album MACHO MAN. Im November folgten Earth Wind And Fire mit dem Hit „September“.
Das Jahr liegt inmitten der Hochphase der populären Disco-Musik, sie ist zu diesem Zeitpunkt im Mainstram angekommen: Die Bee Gees gewinnen einen Grammy, ABBA legen mit „Summer Night City“ den Grundstein für ihr darauffolgendes Album VOULEZ-VOUS, Nile Rodgers spielt die Gitarre auf „Le Freak“, und die Ikonen Gloria Gaynor und Sylvester singen „I Will Survive“ beziehungsweise „You Make Me Feel (Mighty Real)“. Die Liste lässt sich ins Unermessliche fortführen. Sogar die Rolling Stones versuchen sich mit „Miss You“ auf ihrer im selben Jahr erschienenen Platte SOME GIRLS an Disco.
1978 & 2023: Parallel Lines
Doch das Musikjahr 1978 stand auch unter anderen Vorzeichen. In der Musikzeitschrift „Sounds“ war im Frühjahr erstmalig von „Post-Punk“ die Rede, um Bands wie Siouxsie And The Banshees oder Wire zu beschreiben. Auch der „New Musical Express“ griff den noch in den Kinderschuhen steckenden Begriff auf. Ab 1979 sollte sich das Blatt als Reaktion auf Maggie Thatchers Amtsantritt inhaltlich dem Sozialismus zuwenden. Die Musikszene, inklusive Bands wie The Clash, war ein wichtiger Bestandteil des Anprangerns sozioökonomischer Zustände. „I will not be treated as property/It’s not a game of Monopoly“, sang beispielsweise Johnny Rotten auf „Public Image“. Großbritannien erlebte den Winter of Discount mit zahlreichen Streiks und Arbeitskämpfen. Ausgangspunkt war der erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sinkende Lebensstandard im Vereinigten Königreich 1977.
Und heute? 2022 erreichten die Reallöhne den seitdem stärksten Rückgang. Das britische Gesundheitssystem NHS existiert seit 1948 und war noch nie in einem so schlechten Zustand wie drei Jahre nach dem Brexit. Alleine im NHS England fehlen über 130.000 Mitarbeiter*innen, darunter mehr als 45.000 Pflegekräfte. 10 Prozent der Stellen im Gesundheitssystem sind unbesetzt. Krankenwagen-Schlangen vor den Krankenhäusern sind keine Seltenheit. Das System scheint während der vergangenen 45 Jahre kein Stück dazugelernt zu haben und man fragt sich unweigerlich, woher die andauernde Daseinsberechtigung währt. „The change will do you good/I always knew it would“, wusste damals schon Gang-Of-Four-Sänger Jon King in deren Debüt-Single „Damaged Goods“.
In den USA hatte damals die Bevölkerung mit den Folgen der ersten Ölpreiskrise zu kämpfen, die zweite sollte im Jahr darauf folgen. Nach Jimmy Carters Wahl 1977 wurde in den USA zwar außenpolitisch ein Richtungswechsel angestrebt, indem man nicht einen erneuten Krieg in Indochina wiederaufnahm, der Kalte Krieg war jedoch nach wie vor im Gange, die USA und die UdSSR waren im Konflikt um Kampfflugzeuglieferungen nach Kuba und der sich anbahnende NATO-Doppelbeschluss stellte einen traurigen Höhepunkt in dem Konflikt dar. „I don’t like Politics/I don’t like communists“ auf „I’m Against It“ von den Ramones fasst die Ablehnung gegen das Wettrüsten ganz gut zusammen. Seit dem Zerfall des Ostblocks war die Spannung zwischen dem Westen und Russland nicht mehr so allgegenwärtig wie seit dem schrecklichen Angriffskrieg Putins in der Ukraine, der auch vor Kriegsverbrechen nicht zurückschreckt.
Im westlichen Teil der Gesellschaft machte sich vergangenes Jahr eine grundsätzliche Anti-Russland-Haltung breit, die zum Teil absurde Ausmaße annahm, beispielsweise in Form von Diskussionen darüber, russische Literarten wie Dostojewski aus dem Lehrprogramm von Hochschulen zu streichen sowie Übergriffen auf russische Mitbürger*innen und Restaurants. Auf russischer Seite schwingt die anti-westliche Propaganda-Maschine wie eine Abrissbirne, die jeden Oppositionellen zu einem Trümmerhaufen zerschlägt. Und in den Nachrichten gehören die Atomwaffen-Diskussionen zur Tagespolitik.
Zudem waren damals Homosexuelle, Schwarze und Frauen noch lange nicht am Ende ihrer emanzipatorischen Kämpfe gegen die Unterdrückung, wie in Patti Smiths „Till Victory“ bekräftigt wird. Die Ratifizierungsfrist des Equal Rights Amendements stand kurz bevor, seit 1977 stimmten 35 der benötigten 38 Bundesstaaten für den Verfassungszusatz, der Frauen dieselben Rechte zusichern sollte wie Männern. Letzten Endes kam er absurderweise 1982 nicht zustande.
Aus heutiger Sicht lassen sich unweigerlich gesamtgesellschaftliche Parallelen zu 1978 ziehen. Die Ungewissheit und vor allem Unzufriedenheit, die sich Mitte der 70er-Jahre zur Punk-Bewegung formte und in der zweiten Hälfte des geschichtsträchtigen Jahrzehnts manifestierte, ist auch heute spürbar. In den jüngeren Jahren hat sich zwar eine neue Post-Punk-Front rund um Bands wie Fontaines D.C., die IDLES oder die Viagra Boys geformt, in den späten 70er-Jahren hatte die Bewegung jedoch eine deutlich größere Tragweite.
Aus diesem Anlass scheint es naheliegend zu rekapitulieren, welche Lieder fernab der Disco-Musik veröffentlicht wurden und dem Jahr somit einen kulturellen Rahmen aus einer etwas anderen Perspektive verleihen: 45 (Post-)Punk-Songs, die alle vor 45 Jahren erschienen. Hier und weiter unten geht es zu der Spotify-Playlist.
1978-2023: 45 (Post-)Punk-Songs, die vor 45 Jahren erschienen
- The B-52‘s – Rock Lobster (B-52’S)
- Blondie – Detroit 442 (PLASTIC LETTERS)
- Blondie – Youth Nabbed As Sniper (PLASTIC LETTERS)
- Buzzcocks – Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldn’t’ve?) (LOVE BITS)
- Buzzcocks – Fiction Romance (ANOTHER MUSIC IN A DIFFERENT KITCHEN)
- The Clash – Tommy Gun (GIVE ‚EM ENOUGH ROPE)
- The Cure – Killing An Arab (Single)
- DEVO – Mongoloid (re-recorded Q: ARE WE NOT MEN? A: WE ARE DEVO!)
- Elvis Costello & The Attractions – Night Rally (THIS YEAR’S MODEL)
- The Fall – It’s the New Thing (Single)
- Gang Of Four – Damaged Goods (Single)
- The Jam – ‘A’ Bomb In Wardour Street (ALL MODS CONS)
- The Jam – Billy Hunt (ALL MODS CONS)
- Joy Division – Digital/Glass (A FACTORY SAMPLER)
- Joy Division – Warsaw (AN IDEAL FOR LIVING)
- The Killjoys – Johnny Won’t Get To Heaven (re-recorded Single)
- Magazine – The Light Pours Out Of Me (REAL LIFE)
- Magazine – Shot By Both Sides (REAL LIFE)
- Martha and the Muffins – Insect Love (Single)
- The Only Ones – Another Girl Another Planet (THE ONLY ONES)
- The Only Ones – Lovers Of Today (SPECIAL VIEW)
- Patti Smith – Till Victory (EASTER)
- Penetration – Don’t Dictate (MOVING TARGETS)
- Public Image Ltd. – Public Image (PUBLIC IMAGE)
- Public Image Ltd. – Religion II (PUBLIC IMAGE)
- Ramones – I’m Against It (ROAD TO RUIN)
- Ramones – I Wanna Be Sedated (ROAD TO RUIN)
- Richard Hell – The Kid with the Replaceable Head (Single)
- The Saints – Lost and Found (Single)
- The Saints – Swing for the Crime (PREHISTORIC SOUND)
- Screamers – Magazine Love (LIVE IN SAN FRANCISCO ’78)
- Screamers – Punish or Be Damned (LIVE IN SAN FRANCISCO ’78)
- Siouxsie and the Banshees – Hong Kong Garden (THE SCREAM)
- Siouxsie and the Banshees – Jigsaw Feeling (THE SCREAM)
- Stiff Little Fingers – Suspect Device (Single)
- The Stranglers – Walk on By (BLACK AND WHITE)
- The Stranglers – Shut Up (BLACK AND WHITE)
- Television – Foxhole (ADVENTURE)
- Ultravox – I Can’t Stay Long (SYSTEM OF ROMANCE)
- Ultravox – Slow Motion (SYSTEM OF ROMANCE)
- The Undertones – Teenage Kicks (Single)
- Wire – I Am the Fly (CHAIRS MISSING)
- Wire – Too Late (CHAIRS MISSING)
- X-Ray-Spex – Art-I-Ficial (GERM FREE ADOLESCENTS)
- X-Ray-Spex – Identity (GERM FREE ADOLESCENTS)