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Schwanzbruch in der Hölle: Dieter Bohlen wird endgültig zum Fackelträger der gar nicht so Neuen Deutschen Geistlosigkeit.

Irgendwie ekliges Fernsehbild im Oktober: Dieter Bohlen läuft auf der Frankfurter Buchmesse ein, tumultöser Ansturm, „Dieter! Dieter!“, Gedrängel, ein enthusiasmierter Mann ruft: „Er ist der Messias! Ich habe ihn berührt!“ Man soll das ja nun alles nicht so verbiestert sehen, aber durfte sich doch fragen: Ist der jetzt wirklich bei den Kumpels der Held, weil er Dieter Bohlen angepatscht hat? Und wenn ja: was läuft hier eigentlich schief? Die Memoiren von Bohlen und die von seiner Ghostwriterin im Boulevardblatt ihres Ehemannes ausgewalzten Schwanzbruch-Anekdoten und ultramisogynen Obszönitäten (man machte sich beinahe Sorgen um die Persönlichkeitsrechte von Verona F. und „Naddel“) waren ein Fanal der unguten, gar nicht mehr lustigen Geistlosigkeit, die wie ein mieser Pilz immer aggressiver die Unterhaltungslandschaft durchsetzt – und die Deutschen liebten sie. Und alle wollten ein Stückchen ab, hievten den Schreckensmann in ihre Talkshows und lasen seine Texte in Unis vor. Bohlen – wo bei ihm Person aufhört und Kunstfigur anfängt, ist nicht auszumachen – verkörpert genüsslich die Quintessenz piefiger Widerlichkeit und wird zum role model eines missverstandenen Teutonen-„ladism“. Eine Gesellschaft braucht Clowns, mag sein, zumal in solch schweren, schweren Zeiten. Aber muss es wirklich wieder in die Steinzeit zurückgehen?