Interview

4. Staffel auf Netflix: Der „Orange Is the New Black“-Cast feiert die Vielfalt


Selenis Leyva, Uzo Aduba, Lea DeLaria, Yael Stone und Dascha Polanco trafen sich mit Me.Movies zum Interview.

Neue Staffel, neues Glück: „Orange Is the New Black“ geht in die vierte Runde. Was aber nicht bedeuten soll, dass einfach nur mit dem weitergemacht wird, was bisher gut lief. Piper Chapman ist schon lange nicht mehr allein der Star der Show, sondern jetzt eine von unzähligen, spannenden Insassinnen. Außerdem schieben sich dieses Mal mehr und mehr Korruption und das fragwürdige Gefängnissystem in den Vordergrund. Lea DeLaria, die Big Boo spielt, bezeichnet die Staffel sogar als „qualvoll“. Der Witz bleibt dabei dennoch nicht auf der Strecke – selbst wenn es sich häufig um besonders schwarzen Humor handelt. Trifft man auf das Cast der Netflix-Serie, ist immer noch dieses Augenzwinkern zu spüren, das auch jede einstündige Episode so eigen macht.

Abgesehen von den ziemlich lockeren Gesprächen, sind die Interviewsituationen an sich um einiges unangenehmer. In einem riesigen Raum, in dem sonst Pressekonferenzen stattfinden, steht für uns winzige Gruppe von Journalisten ein einzelner, kleiner Tisch. Jedes Wort hallt durch den prahlerischen Saal des Ritz Carlton in Berlin, als müsse es erst mit jeder Wand abklatschen. Mit den sogenannten „Talents“ der Show kommt man auch nicht einfach so, easy peasy, ins Quasselstimmung. Nein – zuerst muss ein Promo-Dobermann sein ok geben, so dass es mit der Fragerunde losgehen kann. Eine höchst konstruierte Situation, die aber zum Glück trotzdem viele, interessante Einblicke in die Welt des Casts gewährt.

Selenis Leyva als Gloria Mendoza
Selenis Leyva als Gloria Mendoza

Als erstes werden Selenis Leyva, alias Gloria Mendoza, und Uzo Aduba, alias Suzanne ‚Crazy Eyes’ Warren, in den Raum geschoben, der wie ein „Alice im Wunderland“-Szenario wirkt. Beide Frauen haben sich immens herausgeputzt, gerade so als würden sie gleich auf einem Red Carpet erwartet werden.

Wie hat eure Liebe für das Schauspielern angefangen?

Selenis Leyva: Meine Liebe zur Schauspielerei hat schon begonnen, da war ich gerade einmal vier Jahre. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Telenovelas, die spanischen Soaps, an der Tagesordnung waren. Meine Eltern waren große Fans davon. Wenn ich mal nicht zuschauen durfte, tat ich es trotzdem heimlich und versuchte dann später das ganze Drama, was da stattfand, in meinem Zimmer nachzuspielen. Aber die Menschen auf dem Bildschirm sahen nie aus wie ich. Ich bin eine Afro-Latina und so jemand wurde nicht im Fernsehen gezeigt. Also auch wenn ich das Schauspielern liebte, konnte ich mir lange Zeit nicht vorstellen den Beruf auszuüben. Ich entsprach ja noch nicht mal dem gängigen Schönheitsideal! Und jetzt macht es mich umso glücklicher Teil einer so vielfältigen Serie zu sein, in der sich hoffentlich jeder wiederfinden kann.

Susanne „Crazy Eyes“ Warren, gespielt von Uzo Aduba
Susanne „Crazy Eyes“ Warren, gespielt von Uzo Aduba

Uzo Aduba: Als mein Interesse für das Schauspielern geweckt wurde, kannte ich noch nicht mal das richtige Wort dafür. Meine Eltern wussten nicht, dass es überhaupt ein Beruf sein könnte. Jedenfalls hatte ich als Kind eine wirklich blühende Fantasie und malte mir die wildesten Sachen aus, die ich dann auch szenisch umsetzte. Aber was es heißt eine Künstlerin zu sein, lernte ich erst als Highschool-Senior. Da fragte mich eine Lehrerin, ob ich nicht auf die Kunsthochschule gehen wolle. Bis dahin war es mein Plan Anwältin zu werden. Doch als sie mir von dieser Möglichkeit erzählte, die mir bis dahin unbekannt war, wusste ich plötzlich genau, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. An der Boston University studierte ich aber Oper. Wobei ein bisschen Theater auch dazu gehörte. Und bald merkte ich, dass mir der Musiktheorie und –geschichtsteil nicht so viel Spaß machte wie der freiere Part, bei dem ich herumrollen und Stimm- wie auch Bewegungsübungen machen durfte. Spätestens da war für mich klar, dass ich nach dem Abschluss nur Schauspielerin sein könnte.

Inwiefern unterscheidet sich die vierte „Orange Is the New Black“-Staffel von der dritten?

Selenis Leyva: Dieses Mal ist es extrem überfüllt im Gefängnis. Eine ganze Busladung neuer Charaktere kommt dazu. Wir sehen wie Korruption alles, von oben bis nach unten, beeinflusst. Aber es bleibt weiterhin eine Dramedy und eine Reflektion von der Welt, in der wir leben. Die Serie zeigt nämlich echte Vielfalt – nicht nur in Bezug auf unterschiedliche Hautfarben, sondern auch hinsichtlich vieler verschiedener Körperformen und auch sexueller Vorlieben.

Uzo Aduba: Wobei die Geschichten schon immer da waren. Nur gibt es jetzt auch Showrunner mit dem Mut, genau diese Stories im Fernsehen zu erzählen. Diese Courage bringt einen Wandel mit sich. Es ändert das Verständnis davon, was Fernsehen sein kann. Kino hinkt dagegen hinterher.

Selenis Leyva und Uzo Aduba ab. Auftritt von Lea DeLaria, die in der Serie die wahnsinnig lässige Big Boo spielt. Beim Interview gibt sie sich mindestens genauso cool. Sie trägt einen schimmrig-dunkelroten Anzug. Darunter ein simples T-Shirt. Man merkt sofort, dass diese Frau schon lange auf der Bühne steht. Genau genommen trat sie zum ersten Mal mit 23 auf. Als Standup-Comedian machte sie sich in San Francisco in den 80ern einen Namen. Schon da sprach DeLaria ganz locker über ihre Homosexualität. Schließlich holte man sie 1993 als erste Lesbe (sie nennt sich genau genommen „Butch Dyke“), die offen darüber sprach, ins Fernsehen. Weitere Auftritte, auch im Theater und in Musicals, folgten. Inzwischen ist sie ebenso als Sängerin bekannt. Ach so, und Aktivistin ist sie auch noch.

Du hast bereits eine steile Karriere hingelegt, was soll da noch kommen?

Lea DeLaria: Ich denke über Poker nach. (lacht) Aber mal ehrlich gesagt, ich glaube es gibt noch genug zu tun, um unsere Welt zu einem besseren Ort zum Leben zu machen. Dafür fühle mich extrem verantwortlich und eigentlich sollte sich sowieso jeder mehr in dieser Hinsicht stark machen. Es freut mich auf jeden Fall zu sehen, an wie vielen Erfolgen ich schon als Aktivistin beteiligt war. Dabei ging es nicht nur um Erfolge für Lesben, sondern für Frauen im Allgemeinen. Und ich glaube an die Menschen. Ich denke, wir können es noch alles gerade biegen.

Lea DeLaria als die gefürchtete Carrie „Big Boo“ Black.
Lea DeLaria als die „gefürchtete“ Carrie „Big Boo“ Black.

Trotz Donald Trump?

Lea DeLaria: Amerika wird niemals Donald Trump als Präsidenten wählen. Das versichere ich!

Du trittst sehr selbstbewusst auf. Woher rührt das?

Lea DeLaria: Wo ich mein Selbstbewusstsein herbekomme? Vom Kokain! (lacht) Nein, aber meine Eltern haben mir eingetrichtert, dass ich mich selbst mögen und für mich einstehen muss. Wenn ich etwas zu sagen habe, sollte ich es auch einfach sagen. Daran halte ich mich. Denn irgendwelche Arschlöcher wird es immer geben. Ich habe so viel Zeit darauf verschwendet auf allen Social-Media-Kanälen die ultrakonservative Rechte zu blocken, genauso wie die radikale Linke. Und dann habe ich mir irgendwann gedacht, wenn ich beide verärgere, dann mache ich wohl etwas richtig.

Wird die Serie deiner Meinung nach mehr von Frauen oder Männern geschaut?

Lea DeLaria: Meiner Erfahrung nach wird sie von allen geschaut. Tatsächlich bekomme ich von Männern oft zu hören: „Meine Freundin wollte, dass ich die Serie mit ihr gucke, was mich erst genervt hat. Aber jetzt bin ich so glücklich, dass ich ihr den Gefallen getan habe!“ Ich wohne im spanischen Ghetto in New York und dort lungern immer Gruppen von 17-jährigen Jungs nach der Highschool herum – und selbst die verlieren komplett ihre Coolness, wenn sie mich sehen.

Wird am Set auch mal improvisiert?

Lea DeLaria: Klar, wir sind ein paar lustige Leute. Wenn Natasha Lyonne (spielt in der Serie Nicky Nichols, Anm. d. Red.) und ich in einer Szene zusammen sind, lehnen sich alle entspannt zurück und lassen uns einfach machen. Auch wenn das nicht besonders professionell ist, versuchen wir beide uns ständig vor der Kamera zum Lachen zu bringen. Irgendetwas Unerwartetes passiert da immer.

Bei Lea DeLaria kommt schnell ein Buddy-Gefühl auf. Mit ihr möchte man noch einen trinken gehen und sich verbünden. Die Zeit mit ihr vergeht dennoch viel zu schnell. Und dann treten auch schon Yael Stone und Dascha Polanco auf den Plan. Erstere mimt in der Serie die liebeshungrige und etwas dümmliche Lorna Morello, gibt sich aber im Gespräch betont eloquent. Zweitere spielt die ständig missverstandene Dayanara Diaz und wirkt trotz des vielen, prolligen Bling-Blings an ihrem Körper im Interview schüchterner als erwartet.

„Orange Is the New Black“ hat im Gegensatz zu anderen Serien viele starke Frauencharaktere als Protagonistinnen. Entwickelt man da als Teil vom Ganzen ein gewisses Gefühl von Stolz?

Yael Stone: Wir sind immens stolz darauf. Und es ist auch eine durchweg positive Erfahrung für mich. Wobei wir zur ersten Staffel noch oft gefragt wurden, ob wir viel streiten würden am Set. Es müsse sicher sehr zickig bei uns zugehen. Ist es nicht traurig, wenn das erste, was dir einfällt, wenn du an ein großes Frauen-Cast denkst, in diese negative Richtung geht? Aber jetzt hat sich die Wahrnehmung zum Glück geändert. Ich muss da auch an die Rede von Cate Blanchett denken, als sie ihren Oscar für „Blue Jasmine“ entgegennahm. Da hat sie so etwas gesagt wie: „Leute, merkt euch: Das Publikum ist an Frauen als Protagonisten interessiert! Und ihr Produzenten da draußen: Ihr könnt damit Geld machen und erfolgreich sein, wenn ihr das anerkennt.“ Wenn man sich nun diese Debatte rund um die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen anschaut, dann weiß man, dass sich viel im Umbruch befindet. Und ich bin stolz darauf ein kleiner Teil in dieser großen Veränderung zu sein.

Die etwas durchgeknallte Lorna Morello, gespielt von Yael Stone
Die etwas durchgeknallte Lorna Morello, gespielt von Yael Stone

Wie sehr hat der Erfolg der Serie euer Leben als Schauspielerin verändert?

Yael Stone: Mir ging es als Schauspielerin sehr gut in Australien. Ich hatte da meine Community, es war so sehr komfortabel für mich. Und dann dachte ich mir, ich müsste mich selbst mal wieder herausfordern und so ging ich nach Amerika. „Orange Is the New Black“ lieferte mir dort meine erste Rolle.

Dascha Polanco: Naja, ich hatte vorher keine Karriere als Schauspielerin. Die Serie war mein Durchbruch. Sie erlaubt mir das zu tun, was ich auch wirklich tun möchte. Sie hat mir gezeigt, dass das Leben mehr sein kann als einfach nur am Morgen aufzustehen, zur Arbeit und dann wieder nach Hause zu gehen, ohne dabei großartig etwas zu fühlen. Eine Dekade meines Lebens ging an mir vorbei, ohne dass ich mich an sie erinnern kann. Aber jetzt möchte ich nicht mehr nur in den Tag hineinleben, sondern jeden Moment richtig auskosten.

Mit wem konntet ihr euch früher im Fernsehen identifizieren?

Dascha Polanco: Das war bei mir eher schwierig. Ich habe mich nicht im Fernsehen wiedergefunden. Daher rühren bei mir auch viele Ängste und Unsicherheiten. Ich konnte mich lediglich ein bisschen in Angelina Jolie sehen, weil die auch so dicke Lippen hat.

Dayanara „Daya“ Diaz (Dascha Polanco) trifft im Gefängnis auf ihre Mutter.
Dayanara „Daya“ Diaz (Dascha Polanco) trifft im Gefängnis auf ihre Mutter.

Yael Stone: Wenn ich meine Augen zusammenkneife, sehe ich es auch. Angelina ist genauso sexy wie du!

Dascha, wie gehst du heute mit deinen Ängsten um?

Dascha Polanco: Ich habe begonnen mich als Ritter in Rüstung zu sehen. Ich mache mich immer noch oft genug selbst fertig, aber das passiert hinter geschlossener Tür. Das ist wahrscheinlich auch nicht die gesündeste Sache … Aber wenn ich rausgehe, bin ich selbstbewusst. Ich rede auch mal mit meinem Spiegelbild. Klar, die Leute sagen, dass man verrückt sei, wenn man das tut. Doch das ist mir egal. Man sollte sich nicht verstellen, nur um irgendwo hineinzupassen. Ich habe so lange im Gesundheitswesen gearbeitet, da habe ich gesehen wie schnell man auf die Welt kommt und wie schnell man auch wieder gehen kann. Alles ist so vergänglich. Man sollte sich also wirklich fragen, ob es das wert ist, das man sich ständig selbst fertig macht?

Wie würdet ihr die Serie jemanden erklären, der sie noch nie gesehen hat?

Yael Stone: In der ersten Staffel ging es um die Neue. Piper war das trojanische Pferd, das uns dann all die anderen wilden Charaktere vorgestellt hat. Die zweite Staffel stellte sich als sehr gewalttätig heraus. Da herrschte Krieg.

Dascha Polanco: Ja, wir haben einen schlechten Apfel hingelegt und dann geschaut wie dieser alles andere auch infiziert. Und in der dritten Staffel ging es dann um Zusammenbrüche.

Yael Stone: Es gab viele gebrochene Herzen und eine Menge Tränen. Dieses Mal, in der vierten Staffel, merken wir wie die äußeren Kräfte das Leben im Gefängnis beeinflussen. Die Bürokratie attackiert die Frauen, ihre Rechte. Das ist jetzt ein ganz neues Level.

 

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