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Wider das Gesülze: In Zeiten der medialen Verquarkung war die glorios narrenfreie Charlotte Roche wieder wertvoller denn je.
Nein, sie hat es nicht nötig, dass noch ein weiteres Loblied auf sie geschrieben wird, und sie ist auch nicht spezifisch eine Heldin des Jahres 2002. Die Sache ist einfach die, dass man Charlotte Roche immer wieder aufs Neue ehren muss, weil sie angesichts eines wachsenden TV-Heeres von dünnflüssigen Grinsmaschinen jedes Jahr wertvoller wird. Abends um neun oder um Mitternacht noch eben „bei Charlotte“ reinzuschauen war wieder oft genug der beste Grund des Tages, die Glotze einzuschalten. Da gab’s Musik, die einem zur Abwechslung noch nicht zu allen Körperöffnungen raushing, und Clips, die man nur hierzu sehen bekam. Charlotte hampelte durch dadaistische Rubriken wie „Headbanging in der Öffentlichkeit“, plauderte hintergründig über Pop wie jemand, der sich tatsächlich dafür interessiert (hat man auch immer seltener), und führte Interviews, die gern mal ins Chaotische rüberspielen durften (Highlights: Noel, Vines, Costello, Breeders) und bei denen man Charlotte bei aller Furchtlosigkeit mitunter eine sympathische Nervosität anmerkte. Vielleicht ist das das Geheimnis, warum man so gern zu ihr ins Wohnzimmer kommt: Bei Charlotte gibt es keine zynische Abgeklärtheit, sondern Herzensbildung, krausen Humor statt Worthülsengeballer und Begeisterung statt Gehupe. Ende des Jahres ging sie in ihre Babypause. Die sei ihr wärmstens gegönnt. Aber damit das klar ist, junge Frau: Wiedersehen macht Freude.