3 Debüts in Deutschland – dem Nachwuchs keine Chance


Man hört es noch, das Säbelrasseln und Hurra-Gebrüll der NDW: Die Zukunft der deutschen Popmusik schien rosiger denn je. Natürlich folgten die Gewitterwolken auf den Fuß: Umsatzzahlen gingen in den Keller, die Plattenfirmen schrieben rote Zahlen – und sahen schwarz! Wie schwer es für junge deutsche Bands heute ist, überhaupt offene Ohren zu finden, untersuchten wir am Beispiel dreier Gruppen mit vergleichbaren Ausgangspositionen: Felix de Luxe (Hamburg), Les Immer Essen (Köln) und Vitale (München)

Einige wenige überlebten. darunter die alte und neue Garde – Ton Steine Scherben. Spliff, Marius Müiler-Westernhagen Udo Lindenberg, BAP -. die mit dem NDW-Spuk sowieso nichts am Hut hatte. Oder auch Nena, die nach dem Motto „Heute Deutschland, morgen die Welt“ ihre „99 Luftballons“ selbst in ausländische Himmel stiegen ließ. Wieder andere wie die Ideal-Sängerin Anete Humpe und deren Neonbabies-Schwester Inga – konnten kraft Talent dem gewandelten Zeitgeist Rechnung tragen.

Doch das Gros versank auf Nimmerwiedersehen im heimtückischen Strudel von Angebot und Nachfrage: Ski & der Rest. Zaza, UKW, Sechserpack, Sonderangebot, Snäp, die Monopols, Jawoll, Scala – aufgelöst, gestrichen, passe. Wo sind sie. die Hubert Kahs, die Markusse, die Andreas Doraus. die 1982 auf dem Höhepunkt des Spektakels große Chart-Anteile hielten? Markus Mörl, von Anfang an eine Marionette seines Managers Axel Klopproge, versucht sich mit verzweifelten englischen Klimmzügen ins neue Zeitalter zu hieven. Goldjunge Hubert? Geflopt! Andreas Dorau? Vielleicht auf dem Jupiter?

Sollten also die Stänkerer wieder einmal recht behalten? Hat Anglo-Amerika wirklich den längeren Atem, die größeren Resourcen. die Originale? War und ist Popmusik made in Germany ein totgeborenes Kind, bestenfalls ein Findling ohne Eltern, ohne Stammbaum?

Frage: Was ist im Juni ’85 geblieben von den musikalischen Wasserspielen? Welchen Widerständen begegnen deutsche Newcomer?

Michy Reincke, Herz und Hirn des Hanseaten-Quintetts Felix de Luxe, seines Zeichens Gitarrist, Sänger, Komponist und Texter, findet es schlicht „traurig, wenn Markus, der wirklich so etwas wie ein junger Peter Alexander hätte werden können, sich von irgendeinem Kaspar dazu überreden läßt. Englisch zu singen. „

Man merkt es schon nach wenigen Minuten: Reincke einst Passanten-Unterhalter in Einkaufspassagen, dann ein gepflegter Bob Dylan-Verschnitt bei Scarlet Lilac – sieht sich gern als Speerträger deutsch interpretierter Popmusik. „Natürlich weiß ich um die alten Vorurteile. Angeblich soll man unsere Sprache nicht gut phrasieren können, die Worte seien sperrig etc. Aber irgendwann mal muß der Knoten doch auch hierzulande platzen. Man muß. glaube ich. einfach den Mut haben, es zu versuchen, selbst wenn es anfangs schwierig ist.

Klar, wir sind durch das 1000-jährige Reich sowohl musikalisch als auch textlich arg ins Hintertreffen geraten, aber wenn man will, kann man sich songschreiberisch ohne weiteres am dem orientierten, was die Kästners und Tucholskys geleistet haben. All diejenigen, die jetzt nur auf die große Mark schielen, arbeiten gegen das. was deutsche Popmusik ist und werden kann.“

Zu diesen Umfallern will Michy Reincke auf keinen Fall zählen. Felix de Luxe, die sich bei dem Hamburger „Modellversuch Popularmusik“ kennenlernten und ihr Gründungsjahr mit 1983 angeben, haben zwar ihren Radio-Hit „Taxi nach Paris“ auch in englischer Version veröffentlicht, aber das- so Reincke -..war ein Fehler, den wir nie wieder machen werden. Wozu den Oberkommerziellen raushängen lassen und ständig auf den internationalen Markt schielen, wenn es so etwas wie die deutschen Beatles noch nicht gab. Es sollte uns um Songs gehen, die man von Kiel bis Kitzbühl hört, die von Teenager und Omis gleichermaßen geträllert werden. „

Mit dem 13-Song-Debüt sind Felix de Luxe diesem großen Ziel ein gut Stück nähergekommen. In Hamburg und um Hamburg herum haben ihre Auftritte Volksfest-Charakter. Man will die Republik vom Norden her aufrollen.

Widerstände dabei? „Ja, die gibt’s! Popmusik hat bei uns keine Tradition. In den Sendeanstalten sitzen oft genug Dinosaurier, die gar nicht wissen, worum es eigentlich geht. Wenn man dann selbst auch noch Fehler macht, kann das oft hemmend wirken.“

So geschehen bei „Taxi…“: Obwohl mit seinem eingängigen Hook geradezu zum Hit geschaffen und im Radio raufund runtergenudelt, schaffte die Geschichte von der Eintages-Reise in die Seine-Metropole nicht den Weg in die Charts. Nicht nur Mona Lisa (so eine Textzeile), sondern auch Fortuna streckte dem „luxuriösen Felix“ die Zunge raus. Die Single schleppte zwar das Album bis auf etwa 30.000 Einheiten, blieb aber dann irgendwo hängen. Künstlerpech! Doch Reincke zeigt sich optimistisch: „Aus Erfahrung wird man klug. Man muß halt lernen, daß ,Musik machen‘ und .Musik verkaufen‘ zwei paar Schuhe sind, daß Timing und Strategie (und was es da sonst noch gibt) stimmen müssen.“

Eins ist sicher: Felix de Luxe verfügen über genug Potential, um im zweiten Anlauf den nationalen Durchbruch zu schaffen.“.Man hat“, so stand im Hamburger Magazin „tango“, „beim Zuhören den erfreulichen Eindruck, daß die Gruppe ihre Ideen auch in die musikalische Tat umsetzen kann.“

Die stilistische Rutschpartie zwischen Pop-Swing. Rock-Riffs, Reggae-Rhythmik und Schlagerhaftigkeit gelingt dem Newcomer. Mit seltenem Sachverstand werden kleine Song-Juwelen zurechtgeschliffen. Hier wird Edith Piaf-O-Ton eingeblendet, dort addiert man einen Damenchor, hier spült ein lässiger Reggae-Offbeat die Melodie heran, dort sorgen Bläser-Stakkati für Pfeffer. Vielversprechend!!

Im Westen nichts Neues? Doch – eine Band mit dem ulkigen Namen Les Immer Essen. Die Kölner Truppe hatte mehr Fortune als die Hamburger. Ihre Debütsingle „Hand-Take“‚, produziert von dem namhaften John Porter (Roxy Music, The Smiths), ergatterte sofort den begehrten Chartplatz. Das verwundert kaum, denn das, was man hört, klingt nach englischem Pop-Menü und nicht nach deutscher NDW-Kost.

„Diese Welle“, so erfährt man, „ist für uns kein Thema, weil wir eh englisch singen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen war deutsche Musik nie prägend für uns. Gut, die frühen Palais Schaumburg zeigten Ansätze von Pop-Verstand, aber sonst…? Da bleibt einem nur der Rückgriff auf Grete Weiser und ihre Pfeif-Arien.“

Deutschen Musikern fällt die Standortbestimmung nicht leicht. Wer heute 18 ist und Musik macht, kennt die Beatles nur noch vom Hörensagen; deutsche Vorkriegsschlager oft viel viel besser als ihr Ruf fallen als Orientierungshilfe aus. Die Comedian Harmonists – wer ist das??

Da liegt einem England schon näher. Sex Pistols, Clash, Boy George. Style Council – was auch immer. Das hat keine Patina, keinen Museumsstaub. das ist etwas Zeigenössisches, Selbst-Erlebtes. L.I.E., wie die Sechs kurz geI nannt werden, haben zum Ziel, mit“.Musik möglichst unverkrampft umzugehen.“ Mit jugendlichem Eifer betreiben sie Selbstbedienung im „Supermarkt der Popgeschichte“ (Kölner Stadtrevue). Sixties-Beat, Zigeuner-Geigen, Synthi-Sounds, Funk-Groove, Pop-Melodik – vor ihrem Zugriff ist nichts sicher. Sie zeigen, so der Firmenbiograf, „ein unbeschwertes Verhältnis zu Tradition und Gegenwart. „

und wirklich: die sechs L.I.E.’s, die sich 1982 zusammentaten, haben das gewisse Etwas. „Klinkenputzen mußten wir nicht“, sagen sie, „wir haben ein Demo gemacht, das wurde angeboten und wir bekamen einen Vertrag.“

Nicht nur das! Die EMI stellte ihnen auch den teuren John Porter zur Seite, der nicht nur sorgfältig, sondern meistens auch ziemlich lange an seinen Produktionen feilt. Mit Erfolg, wie man hört.

Obwohl das propere Jungmänner-Sextett erst eine Single unter Dach und Fach hat, wird langfristig gedacht. „Ein Manko der NDW war ihre Ex-und-hopp-Mentalität. Man hat einfach ohne viel zu überlegen und meist nur. um das schnelle Geld zu machen, jeden Mist rausgebracht. Gut an der Bewegung war wohl, daß die Amateure in ihren Kellern mit einem Mal den Mut hatten. Musik zu machen auch wenn das nicht alles edel und perfekt klang.“

Für perfekte Klänge sorgen sie jetzt selbst. Sicherlich ist L.I.E, kein Phänomen, das auf den deutschen Markt beschränkt bleiben soll. Internationalität ist angesagt. Alphaville. Propaganda oder auch Peter Schilling haben’s vorexerziert.

„Kein Zweifel“, schreibt Peter Boettcher in seinem „Stadtrevue“-Artikel,“.sie sind Kinder ihrer Tage, machen, was ihnen gefällt, ohne viel zu fragen. Mit dem Unterschied nur. daß sie Geschmack besitzen, ihnen mehr an Ästhetik liegt als an einem Interesse. Botschaften gut ,rüberzubringen‘.“

Last but not least stoßen wir bei unserer musikalischen Reise durch die Republik auf eine Münchner Band: Vitale. Benannt nach dem Sänger, Unikum, Frontmann und Schwerenöter Guido Vitale, favorisieren sie Rock ohne doppelten Boden – gitarristisch ausgerichtet, direkt, flott, ehrlich – vital. Guido, der „am besten singt, wenn er rumhurt und die besten Songs schreibt, wenn er Kummer hat“.

rief im Frühjahr 1983 den Keyboarder Mufti Ruff an, mit dem er seinerzeit bei Gelegenheit Stegreif-Blues-Konzerte gegeben hatte. Die Texte, die Mufti zu Gesieht bekam, strahlten Kraft aus. Ehrlichkeit; sie brachten das auf den Punkt, was viele erleben, die wenigsten aber in Worte fassen können. Vitale – nach einigen Umbesetzungen komplettiert durch Manuel Lopez, den Haindling-Bassisten Dscharlie. Schlagzeuger Harald Kümpfel und den Perkussionisten Toby – war geboren.

Das Sextett aus dem Süden hatte in dem WEA-Mitarbeiter Peter Köppcke einen Fürspreeher. Im Februar 1984 hatte dieser Herr sie nämlich in der Münchner „Arena“ bei einer Medien-Beschau gesehen und im nächsten Monat unter Vertrag genommen.

Als Köppcke aber nach London avancierte, geriet die Vitale-Attacke ins Stocken. Single und LP, bereits im Sommer „84 aufgenommen und als Herbst-Veröffentlichung geplant, waren, wie man in der Branchensprache sagt, „on hold“. Der Labelmanager verlangte eine neue Abmischung. Von Firmenseite beklagte man auch einige ultradirekte Zeilen des ultradirekten Vitale-Chefs. Vorsichtig gewordene Firmen-Manager witterten schon da Verrat am künftigen Airplay-Soll.

Guido schert das einen feuchten Dreck. Der „romantische Hund“, der dauernd „Weibergeschichten“ laufen hat, lebt, was er singt und singt von dem, was er lebt. Mit Vitale wollte er gleich hoch hinaus. Keine Ochsentour über Klein- und Kleinst-Bühnen. sondern alles richtig, alles 200prozentig. Der sympathische Sprücheklopfer („Sülze gibts schon genug“/. .Was willst du machen, wenn du mit Feuer unterm Arsch vor diesen Kühlschränken stehst..“) vergaß dabei jedoch nie sein Hautpanliegen: „Es geht einfach darum, etwas zu sagen, wenn man etwas zu sagen hat. „

Bei Vitale glaubt man – noch – an den Rock aus der ehrlichen Ecke. Leute wie Grönemeyer nötigen den Vitales Respekt ab. Die NDW, die zur Emanzipation des Deutschen als Rocksprache beigetragen hat, wird trotz anderweitiger Bedenken für gut befunden.

Die Münchner, die sich wie alle anderen genannten Bands soundmäßig auch im englischen Ausland orientieren, verkörpern den dritten möglichen Typus des Post-NDW-Musikers. Sie betreiben keine Gemütsmassage mit schlagernahen Floskeln, sondern nennen die Dinge beim Namen: Meist gehts um Mädchen, die weglaufen, oder Mädels, die kommen, um Kerle aus echtem Schrot und Korn, um kotzende „Alkis“, um den dicken Frust und die dünne Brieftasche.

Guido und seine Mannen schneidern nichts bewußt aufs Radio zu. Vitale Töne kommen aus einer Gegend südlich des Bauchnabels. Die teils recht stupide Neue Deutsche Fröhlichkeit mit ihrem „Gib Gas, Ich Will Spaß! Credo ist ihm fremd. Bei ihm heißt es: „Ganz nah bei dir/du hältst meine Hand/bitte komm doch nochmal/ich zeig dir nochmal/mein Gefühl für dich/ denn mein Gefühl für dich/ist ein Gefühl ohne Ende.“