2000-2015: Die 50 besten Alben des neuen Jahrtausends
Wir haben die 50 besten Alben aus den Jahren 2000 bis 2015 ausgewählt und gerankt – wie es sich gehört. Und dann haben unsere Autoren aufgeschrieben, weshalb es genau diese 50 Platten sind – und keine anderen.
7. THE XX – THE XX (2009)
Er ereignet sich immer wieder, so als folgte dieser Mechanismus einem Naturgesetz: Der Pop entledigt sich einer Sache, indem er eine andere, die möglichst weit entfernt von der einen ist, als das große, neue Ding präsentiert. Dass The xx aber nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums innerhalb kurzer Zeit mit einer auch nach Indie-Maßstäben eher unkommerziellen Musik zu den großen Lieblingen diverser Szenen wurden, erstaunte dann doch ein bisschen. Bei Indie muss was passieren, wenn schon die Songs scheiße sind: Strophe-Refrain-Strophe-heroisches-Gitarrensolo-Abgang-danke. Bei The xx passierte bei oberflächlichem Hinhören und -sehen: nichts. Keine Zurschaustellung heterosexuell geprägter Sexualität, die über das klischierte Medium Rockmusik transportiert werden soll, sondern ein wunderbar zurückhaltender Minimalismus in entkernten Liedern, dazu ein paar dezente Beats aus den Maschinen von Jamie xx, die sich noch nicht ganz trauten, ihre Herkunft aus dem gerade auch schon wieder in Auflösung befindlichen Dubstep zuzugeben. Manche wollten in diesen Liedern eine soundästhetische Verwandtschaft zu Young Marble Giants erkannt haben, andere hörten dekonstruierten R’n’B, der auf The-xx-Vorbilder wie Aaliyah und Rihanna verwies. Ein Debütalbum voll Elektronik-infiziertem Indie-Pop, das in den buntesten Schwarz-Weiß-Tönen schillerte. Oder anders gesagt, The xx spielten auf ihrem Debütalbum so ziemlich das genaue Gegenteil des Nuller-Jahre-Indie-Rock, der nach einer kurzen Hochphase schnell fett, pompös und zum nichtssagenden Rock-Rock geworden war. (Albert Koch)
6. LCD SOUNDSYSTEM – SOUND OF SILVER (2007)
James Murphy war 37, als SOUND OF SILVER erschien. Aus Sicht der Electronica-Kids war er da schon ein alter Sack mit ergrautem Bart über dem Doppelkinn. Die ewige amerikanische Sex-Beraterin Ruth Westheimer schrieb zwei Jahre vor Veröffentlichung des zweiten Albums von LCD Soundsystem das Buch „Silver Sex“, ein Ratgeber für Geschlechtsverkehr im hohen Alter. SOUND OF SILVER ist das Tanz-Pendant zum Senioren-Erotik-Knigge. Es ist die Platte, zu der man mit 37 und grauem Bart und Doppelkinn tanzen kann, ohne sich zum Deppen zu machen. Und das geht so: Die neun Songs besitzen alle Informationen, die Murphys Plattensammlung hergeben. Es stecken die Talking Heads und The Velvet Underground in diesen Stücken, Kraftwerk und Can, New Order und die B-52’s. Der Auftakt „Get Innocuous!“ ist, vor allem, was den Gesang betrifft, eine sehr konkrete Hommage an Brian Eno, da nicken die Wissenden gleich doppelt mit. Zum Ausflippen sind auch die Texte, Murphy gibt den Silberfisch, der noch ein letztes Mal aus dem Waschbecken ausbrechen will, bevor er weggespült wird. „All My Friends“ bietet die beste Story: Fünf Jahre lang hat man versucht, einen Karriereplan durchzuziehen. Die nächsten fünf verbringt man damit, die alten Freunde wieder zurückzugewinnen. Doch SOUND OF SILVER ist keine sarkastische Platte. „Someone Great“ trägt tiefe Trauer, Murphy hat nie spezifiziert, um welche großartige Person es hier geht. Fest steht nur: Spiel zum Abschied leise das Glockenspiel. (André Boße)
5. KANYE WEST – MY BEAUTIFUL DARK TWISTED FANTASY (2010)
Der Größenwahn, das Egomanische – wer oder was wäre Kanye West ohne? Ein guter Produzent, ein okayer Rapper, vielleicht nicht mehr ganz so geliebt von den Paparazzi, aber immer noch belächelt von so manchem Kritiker. Ohne diesen zwingenden Willen, für den Kanye West bekannt ist, wäre er zwar ein klar talentierter Musiker, aber trotz einiger guter Stücke irgendwie unvollendet. Hätte, wäre. Zum Glück, Kanye being Kanye, steckte von Anfang an in ihm diese ambitionierte Verrücktheit, ein Kunstwerk zu schaffen, das zugleich – ein Meisterwerk ist. Und so kann man MY BEAUTIFUL DARK TWISTED FANTASY getrost bezeichnen. Ein Album, das herausragt. Eine Platte, die reinknallt. Eine LP, die er vielleicht nicht mehr übertreffen wird. Es steckt eine Menge Michael Jackson darin, quasi die volle Ladung Pop-Exzess nach der Autotune-Melancholie auf 808S & HEARTBREAK. An einigen Stellen ist sie so vollgepackt mit Ideen, Elektro-Samples, Elton-John- Pianos, HipHop-Hooks, Prog-Gitarren, dass man förmlich sieht, wie dieses außerweltliche Musikgenie von oben auf unsere Mittelmaß-Erde blickt – und zufrieden über sein Schaffen im Takt nickt. Bevor MY BEAUTIFUL DARK TWISTED FANTASY im November 2010 erschien, erzählte Yeezy MTV, er habe ein Lebensziel: „Der größte Künstler aller Zeiten zu werden.“ Was schwierig werden dürfte, schob er lachend hinterher, da er weder tanzen noch singen könne. Unheimlich, wenn er das auch noch beherrschen würde. (Daniel-C. Schmidt)
4. FRANZ FERDINAND – FRANZ FERDINAND (2004)
„Ich heiße superfantastisch! Ich trinke Schampus mit Lachsfisch!“ Dass man einen solchen Quatsch wie die letzten Zeilen aus „Darts Of Pleasure“ mitsingen und sich dabei dennoch cool und unwiderstehlich sexy finden kann, das ist das wahre Verdienst dieser stilsicheren Schotten. Man kann eben auch in Würde den Exzess umarmen. Der eigenwillige deutsche Text geht auf Bassist Nick McCarthy zurück, der im Landkreis Rosenheim aufwuchs und in München Kontrabass studierte. Ihm hat man auch den nach der gleichnamigen ARD-Vorabendserie mit Manfred Krug benannten Songtitel „Auf Achse“ zu verdanken, sowie eine deutschsprachige Version von „Tell Her Tonight“. Kein Wunder, dass Franz Ferdinand mit ihrem Debüt auch in Deutschland einschlugen: Platz 18 in den Charts war damals eine Sensation für eine junge (wobei Sänger Alex Kapranos bei Albumveröffentlichung schon fast 32 Jahre alt war) Indie-Band. Noch erstaunlicher aber, dass die vier damit sogar die USA eroberten: Mehr als eine Million Exemplare verkauften sie dort. Aber wie konnte man sich diesem Sound auch entziehen? Nicht nur die sharp dressed Bandmitglieder und die Spielzeit von 38 Minuten waren schlank, sondern auch die Songs: zackig, präzise gespielter Indie-Rock mit starken Bezügen zum Postpunk der 80er. Keine Schnörkel, dafür eingängige Hooks zum Verrücktwerden und Riffs wie das von „Take Me Out“, das bald zigtausende Festivalkehlen mitgrölten. An den homoerotischen Anspielungen in „Michael“ schien sich niemand zu reiben. Rock’n’Roll für ein neues Jahrtausend. (Stephan Rehm)
Auf der nächsten Seite stellen wir Platz 3 vor: