10000 Maniacs
In alter Woodstock-Tradition pflegt die US-Band das zarte Pflänzchen des intelligenten Protest-Songs. Martina Wimmer pflückte mit Obergärtnerin Natalie Merchant einen Folk-Strauß.
Die Perspektive macht den Unterschied. In der geldschwangeren Umgebung des Hilton-Hotels folgen die Geschäftsmann-Blicke der unscheinbaren Mädchen-Gestalt im biederen rotgeblümten Gewand.
Ungeschminkt, die dunklen glatten Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, soviel Purismus überrascht. Natalie Merchant, Sängerin und Texterin der 10000 Maniacs, erklärt fast schon entschuldigend: „Ich kann hier nichts für das Hotel und die Limousine, das arrangiert die Firma. Aber mein Privatleben ist völlig anders. Ich lebe in einer Drei-Zimmer-Wohnung, fahre Fahrrad und passe auf die Kinder meiner Freundinnen auf, wenn sie mich brauchen. Zuviel Geld kann soviel kaputt machen. Man kann auch professioneller Musiker sein, ohne Multimillionär werden zu wollen.“
Die 10000 Maniacs aus dem verschlafenen amerikanischen Städtchen Jamestown, 60 Meilen von New York sind auch sonst eine ungewöhnliche Erscheinung in der Popwelt der Achtziger Jahre. Mit dem 87er Album IN MY TR1IBE erzielte die vierköpfige Truppe im vergangenen Jahr den ersten – verspäteten – Verkaufserfolg.
Doch auch den mißt Natalie mit anderen Maßstäben.
„Mein Erfolgserlebnis hängt einzig und allein von der Qualität meiner Lieder ab, und was ich dabei fühle. Wenn meine Zuhörer dabei genauso fühlen, ist das für mich das Größte.“ Natalies Lieder sind Geschichten von mißhandelten Kindern, unschuldigen Kriegsopfern und Umweltkatastrophen. In der Vertonung mit ihren Band-Kollegen Robert Bück, Dennis Brown und Jerome Augustyniak werden daraus kraftvolle Pop-Pamphlete mit harmonischen Anleihen aus Folk und Country – und damit liegen die 10000 Maniacs ungezwungen voll im Trend der neuen Handwerks-Musik.
Auf der neuen Maniacs-LP BLIND MAN’S ZOO ist die gefühlvolle Mischung aus Gestern und Heute zu einer eigenständigen, experimentierfreudigen Musik geworden. Sie stellt Natalies glasklare Stimme mutig neben fordernde Drum-Beats und rauhe Gitarren-Riffs oder verleiht ihr wie im Schlußsong der LP, „Jubilee“, bisweilen eine fast sakrale Andächtigkeit. „Nach drei Alben haben wir jetzt, glaube ich, eine klare Vorstellung davon, was die 10000 Maniacs sein sollen und das ist gut so. Schließlich gibt es jede Menge Bands, die sich nach einem aufregenden und extrem erfolgreichen Debüt-Album nur noch selber zitieren. „
Ihr Anliegen ist über die Jahre das gleiche geblieben, Natalie will, wenn nicht die Welt, zumindest doch ihre Zuhörer verändern, Öffentlichkeit finden mit den Inhalten ihrer Lieder. „Wenn ich als Kind nicht Klavier spielen gelernt hätte, wäre ich wohl Enthüllungsreporter oder Dokumentarfilmer geworden. Durch die Musik kann ich allerdings meinen Überzeugungen noch ein Gefühl hinzufügen, das sie von Zeitungsartikeln oder Büchern unterscheidet.“
Die 10000 Maniacs und ihre spröde Botschaftenn für Frieden, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit – so überzeugt und eifrig wie Natalie ihre Texte erklärt, so unzweideutig wirkt sie auch wie ein Relikt aus vergangener Zeit.
„In den Sechzigern war ich natürlich noch ein Kind, aber ich habe schon einiges mitbekommen vom damaligen Aufbruch. Ich habe mit meinem Vater ,Blowing In The Wind ‚ gehört und natürlich ,Imagine‘. Dadurch habe ich zum ersten Mal die Idee von einer besseren Welt bekommen, und das auch noch durch einen Popsong aus dem Radio! Deshalb bin ich immer begeistert, wenn ich Kinder in unseren Konzerten sehe. Sie können noch so viel lernen. Ich wünschte es hätte eine Band wie die 10000 Maniacs gegeben als ich ein Kind war.“