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Der Doku-Roman "Verschwende Deine Jugend' ist der größte Glücksfall, der der deutschen Popkultur 2002 passiert ist.
25 Jahre mussten ins Land gehen, in denen man jede Zuckung dokumentiert bekam, die sich je im Dunstkreis des CBGB tat, jede Bandumbesetzung in einem Keller in Brixton – nur über die Urständ von Punk hier zu Hause hatte man wenig Substanzielles gelesen. Klar, da war was, Neue Deutsche Welle, lustig, und da gab es ein paar, die nicht Fräulein Mehnke und Trio waren, sondern das irgendwie anders gemeint hatten, DAF, Fehlfarben, Plan – aber genau? In dieses Vakuum erschien im Januar das Buch „Verschwende deine Jugend – Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave“. Der Journalist Jürgen Teipel – 41, selbst Punk der ersten Stunde – hatte die Protagonisten von damals aufgesucht und aus 1000 Stunden Interviews mit ca. 100 Leuten eine erzählte Historie der deutschen Punk/Wavejahre 76 bis ’82 destilliert, von den naiv-experimentellen Anfängen bis zum Kippen in den Kommerz der NDW. Das Ergebnis war ein Buch, das man kaum weglegen mochte, so spannend, haarsträubend, witzig, inspirierend und manchmal schauerlich las es sich. Ein Buch, aus dem man viel lernen kann über dieses Land, über Pop und Punk und Kunst und was sie mit den Menschen anstellen, die darin aufgehen. Und darüber, was die Idee Punk auch hierzulande bedeutete, bevor Bier-Lederjacke-lro-Proll-Klischees sie zusuppten, und wie essenziell sie für eine aus sich heraus kreative, selbstbewusste Musikszene und unabhängige Strukturen war, wie man sie heute als normal ansieht. Und siehe da – die Zeit schien reif für dieses Buch, es wurde zum Überraschungsbestseller. Bald folgte eine Ausstellung, eine Sampter-Doppel-CD, und im Herbst brachten die wiedervereinten Fehlfarben ein (tollesl neues Album heraus, Gabi Delgado spuckte neue DAF-Töne, junge Bands wie Mia betrieben erfolgreich New-Wave-Mimikri. Und gegen Ende des Jahres hörte man von gleich zwei köchelnden Filmprojekten in Sachen – der Titel, entliehen von DAF, ist inzwischen eine Chiffre geworden – „Verschwende deine Jugend“. Ein E-Mail-Gespräch mit dem gerade lesereisenden Jürgen Teipel:
Hättest du jemals mit diesem Erfolg gerechnet? Jetzt drehen sie sogar Teeniefilme über damals.
Ja, schon unglaublich. Ich bin mit dem Manuskript bei 16 Verlagen abgelehnt worden. Und dann Suhrkamp, deutsche Hochkultur, haha. Demnächst 30.000 verkaufte Exemplare – eine unbeabsichtige Punktlandung im Mainstream. Das Buch ist ja absichtlich auch als eine Art Teenie-Roman konzipiert. Es geht um Gefühl und Action. Ein Teeniefilm in der Richtung ist also logisch. Ich hoffe halt, dass er auch gut wird. Er hat ja mit dem Buch nur den (Arbeits-)Titel gemein.
War die Zeit reif für dieses Buch?
Ich dachte während der dreieinhalb Jahre Arbeit immer wieder: Das gibt’s doch nicht, dass da niemand drauf kommt, aus dieser aufregenden Zeit was Adäquates zu machen. Es gibt tausend Bücher über die 68er und über Techno, aber nichts, was je versucht hätte, Punk und New Wave in Deutschland auf den Punkt zu bringen. Von heute aus kann man ja nur staunen über eine Zeit, in der Jugendbewegungen noch völlig ohne Massenmedien funktioniert haben. Ich glaube, das finden die jungen Leute so interessant daran: dass es sehr wahrhaftig ist, sehr unschuldig.
Hast du von den Interviewten Feedback bekommen ?
Das war durch die Bank sehr gut. Wegen des ungeahnten Erfolgs sind aber manche nun damit konfrontiert, dass sich ihre Biografie verselbstständigt hat. Peter Hein wird zum Beispiel dauernd auf Dinge angesprochen, die andere Leute im Buch über ihn gesagt haben. Das nervt natürlich hin und wieder.
Was waren die interessantesten Begegnung im Lauf des Projektes?
Das geht von Inga Humpe, für die Punk das Sprungbrett war, sich analog zu ihrer Pop-Karriere auch menschlich weiterzuentwickeln, bis hin zu Peter Hein, der noch stark in seiner Punk-Welt lebt, aber sich dadurch auch seinen unverwechselbaren Charakter bewahrt hat. Vor allem dieses „Don’t believe the hype!“, der Mut zur eigenen Sicht. Der sagt wenigstens konsequent: Das ist doch alles Scheiße!
Dürfen Leute wie Fehlfarben und DAF mit so radikalen Positionen, wie sie im Buch vorgetragen werden, überhaupt Comebacks unternehmen?
Das Recht wird ihnen ja wirklich hin und wieder abgesprochen. Sehr anmaßend. „Berufsverbot“ nennt Peter Hein das zu Recht. Um dieses „Darf ich das eigentlich, was ich da mache?“ hat sich 1977 niemand gekümmert. Das war es ja, was Punk so neu und spannend machte. Und deswegen sollte sich auch heute niemand um so was kümmern, sondern einfach machen.
Wird es eine Fortsetzung des Projektes geben? Du musst ja Berge nicht verwendeten Materials haben.
Ich habe versucht, das Buch so dicht wie möglich hinzukriegen. Es sind fast alle guten Stories drin, die mir erzählt wurden, und zwar hoch konzentriert, wie ein guter Punksong. Von daher mache ich – wenn der ganze Rattenschwanz wie Lesungen, DVD, vielleicht sogar ein Themenabend auf Arte, erst mal vorbei ist als Nächstes lieber was ganz Neues.