Wer gut gekleidet ist, entscheidet Wäis Kiani. Heute vor dem Stilgericht: Lady Gaga
Als hätte die Menschheit nicht schon genug Probleme und als wären die Geschlechterrollen nicht schon verwirrend genug, taucht plötzlich und wie aus dem Nichts auch noch Lady Gaga auf. Allein der Name macht einen fertig, ohne sie zu kennen. Lady Gaga, Gaga Lady – man kann es kaum über die Lippen bringen. Von einem Stil dieser Musikerin zu sprechen, wäre gutgläubig oder auch naiv, nennen wir es eine Verkleidung, die dazu angelegt ist, zu provozieren und zu schockieren. Aber wir haben schon zuviel erlebt, zuviel gesehen und selbst zuviel Dreck am Stecken, um uns von einer unscheinbaren Asozialen mit mäßigem Talent und schlechten Songtexten provozieren zu lassen, und schockiert sind wir sowieso schon lange nicht mehr. Wir sind mit Nancy Spungen und Nina Hagen aufgewachsen, über deren Poster an unseren Wänden sich unsere Eltern noch schön sauber aufgeregt haben, so wie es sich gehört, damit es auch Spass macht. Und Nancy und Nina hatten viel zerrissenere Netzstrümpfe, Lack und Leder, hatten immer den Fuckfinger parat und rochen nach versautem Sex auf Drogen. Punk eben. Lady Gaga riecht nur nach dumpfer Publicity-Geilheit und einer müden Stylistin, die Backstage Perücken kämmt und große Löcher an den richtigen Stellen in die Strumpfhosen reißt. Lady Gagas Erscheinung ist ohne Inhalt, ohne Haltung, es kommt keine Aussage, die ihre Anhänger suchen könnten. Sie wirkt wie eine Außerirdische, die von einem anderen Planeten aus festgestellt hat, dass wir menschliche Wesen total blöd sind und auf alles hereinfallen, was anders ist als wir selbst und man so von uns ganz leicht das bekommt, was auf dem Planeten Gaga fehlt: Goldmünzen.
Auch wenn sie es bei uns in Mitteleuropa nicht geschafft hat, als farbenblinde, durch den Fleischwolf gedrehte Crack-Whore von echten Menschen zur Stil-Ikone erklärt zu werden, hat sie ihre Glaubwürdigkeit ausgerechnet im Alltag rechtloser junger Frauen in einem repressiven, stilresistenten System gefunden: Auf den Straßen einer vergessenen Stadt sowie auf verbotenen Wohnzimmer-Partys im vergleichsweise „vornehmen“ Teheraner Norden gibt es jede Menge hervorragender Lady-Gaga-Kopien mit hellblonder Ponyfrisur, transparenten Islam-Kitteln über pinken Tank-Tops, schwarzen Ray Bans und dem klassischen Hafentransen-Make-Up zu sehen. Es ist ausgerechnet in einer freiheits- und ästhetikfreien Zone quasi das Erscheinungsbild du jour. Es gibt Künstler, die müssen eben auf die dunkle Seite des Mondes, um verstanden zu werden.
