Radiohead :: The King Of Limbs
Auf dem achten Album der Art-Rocker formieren sich die elektroakustischen Bits & Pieces zu hervorragenden Songs.
Es ist gar nicht sehr lange her, da hat Thom Yorke angekündigt, Radiohead würden in Zukunft keine Alben mehr veröffentlichen, sondern nur noch EPs. The King Of Limbs stellt keinen Wortbruch dar, sondern eine Zwischenstation auf diesem Weg. Klingen diese acht Songs in ihrer Heterogenität nicht eher wie eine Sammlung von Einzeltracks, die in unterschiedlichen Stadien der Band in den vergangenen Jahren aufgenommen wurden? Und falls ja, was ist so falsch daran? Ist die Spielzeit des Albums von gerade einmal 37 Minuten nicht ein Tribut an den Zeitgeist des Musikkonsumierens, der von immer geringeren Aufmerksamkeitsspannen gekennzeichnet ist? Keine aktuelle Radiohead-Besprechung ohne Hinweis auf die Veröffentlichungspolitik. Fünf Tage vor dem Veröffentlichungstermin (19. 2.) als (diesmal kostenpflichtiger) Download angekündigt, dann doch einen Tag früher auf die Welt losgelassen, was Internetportale zu hastigen Track-by-Track-Besprechungen gezwungen hat, weil es ja darum geht, sich als Erster zu äußern, auch wenn die Äußerungen stets vom relativierenden Hinweis begleitet wurden, man habe das Album erst einmal hören können und vielleicht ändere sich ja bei mehrfachen Hördurchläufen die Meinung.
Kid A hallt immer noch nach. Auf der persönlichen Ebene war die Neuerfindung Radioheads im Jahr 2000 sicherlich einem starken künstlerischen Selbstanspruch geschuldet. Radiohead galten als „Britpop“, einem eher der Herkunft als der musikalischen Ausrichtung geltenden „Genre“. Der Britpop der 90er war vor elf Jahren bereits mausetot. Es war alles gesagt, was aus der Sicht der 90er über Gitarrenmusik der 60er gesagt werden konnte, dennoch wollten die Protagonisten den Mund nicht halten. Thom Yorke hatte das erkannt. Das Aufregende ereignete sich Ende der 90er nicht im Gitarrenpop, sondern in der elektronischen Musik.
Auf einer höheren Ebene war Kid A mehr als das Bekenntnis für eine Seite im mitunter lächerlich wirkenden Lagerkampf Gitarren vs. Elektronik. Kid A darf als antizipatorischer Kommentar zum Ende der Kunstform Song gelesen werden, das qualvolle millionenfache Sterben des Songs in den Nullerjahren durch ein Überangebot sogenannter Songs, die nie welche gewesen sind, in allen Bereichen von Folk bis Indie. The King Of Limbs ist der Beweis dafür, dass nach dem sonischen Urknall von Kid A die atomisierten Bestandteile der Songs ein Jahrzehnt lang durch das Musikuniversum geschwirrt sind, um sich jetzt langsam wieder zu Gebilden zu formieren, die man Songs nennen kann. Das achte Radiohead-Album setzt die Tendenz des 2007er In Rainbows fort, die elektronischen und elektroakustischen Bits & Pieces der Vorgängeralben ganz organisch zur Basis von Radiohead-Songs zu machen.
Die Eröffnungsnummer „Bloom“, bei der ein Piano-Loop von einem marschähnlichen Rhythmus begleitet wird, worüber Thom Yorke seinen ätherischen Gesang legt, ist vielleicht der nächste Verwandte zu den alten neuen Radiohead des Jahres 2000. In der Stakkato-Begleitung zu „Morning Mr Magpie“ zeigt Jonny Greenwood, wie die Gitarre bei einer ehemaligen Gitarrenband zehn Jahre danach zu klingen hat. „Feral“ mit den dekonstruktivistischen Soundabstraktionen und Yorkes bearbeitetem Gesang verweist in die Gegenwart der elektronischen Musik. Es ist der Kommentar Radioheads zum Post-Dubstep. „Lotus Flower“, der vielleicht beste Song des Albums in einem Song-Sinn, entwickelt einen wunderbaren Groove aus einer prägnanten Bassline und gegenläufigem Schlagzeugspiel. Die düstere Gänsehautnummer „Codex“ ist in ihrem Piano-Impressionismus ein naher Verwandter des „Pyramid Song“. „Give Up The Ghost“ dann eine minimalistisch instrumentierte Ballade im Radiohead-Sinn.
Nicht dass sich Radiohead seit Kid A nicht entwickelt hätten, vielmehr haben sich ihre Hörer in ihrer subjektiven Wahrnehmung an dieses Zwitterwesen aus mikroelektronischen Bestandteilen und Songs gewöhnt, das erstaunlicherweise nicht Opfer von Epigonen- und Kopistentum geworden ist. Und so nimmt der Überraschungseffekt mit jedem neuen Radiohead-Album seit Amnesiac kontinuierlich ab. Die wahre Überraschung an The King Of Limbs aber ist, dass es diese Band nach all den Jahren immer wieder schafft, hervorragende Alben aufzunehmen.
****** der helle Wahnsinn
***** sehr gut
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