Marcus Mumford und seine Kollegen verzichten auf alles, was auch nur entfernt an Folk erinnert. Der neue Sound der Briten: polierter Egal-Rock.

Zunächst einmal ist eines Mumford & Sons hoch anzurechnen: Die Londoner haben etwas gewagt. Eine Idee gehabt, die jenen diametral entgegensteht, die sie bisher verfolgten. Mumford & Sons, das waren doch die Kerle aus Südlondon. Zauselfolkies, Banjospieler, Leinenhemd-Träger. Mit ihrem Debütalbum SIGH NO MORE (2009) sammelten sie zunächst den Überrest der schnuffigen Indiedisco-Youth ein, bald aber auch all diejenigen, für die Musik nur gut ist, wenn sie „handgemacht“ wirkt.

Nach einer Weile waren sie eine sehr große Band, die mit sieben Tourbussen um die Welt reiste. Der Nachfolger BABEL klang drei Jahre später ähnlich und wurde noch erfolgreicher: Allein in den USA wanderte das Album zweieinhalb Millionen Mal über die Ladentheke. Das, was wir auf vorliegender Platte hören, deutete sich damals bereits an: In den Interviews zu BABEL sprach die Band von der großen Sorge, sich selbst zu wiederholen.

Der Folk bei Mumford & Sons ist weg

Diese Sorge ist unberechtigt. Mumford & Sons haben ein Album aufgenommen, das alle Erwartungshaltungen negiert, das sich radikal vom bisherigen Katalog abwendet und einige der Kernzutaten der ersten beiden Platten völlig ignoriert. Man kann es mit einem Satz sagen. Der Folk ist weg. Der zweite Satz ist leider etwas länger: Marcus Mumford und seine Kollegen bemühen sich nun um eine Art Rockmusik, die aber nicht so recht rocken mag. Bezugspunkte, die wir während der Listening Session im Büro unseres Chefredakteurs ausmachten: Coldplay, Kings Of Leon, Gaslight Anthem. Zur Vorab-Single „Believe“ zog ein User bei Facebook gar Parallelen zu Rea Garvey, unrecht hatte er nicht.

Songs wie der Opener „Tompkins Square Park“, „Snake Eyes“ oder „Cold Arms“ bewegen sich komplett im Midtempo, bauen routiniert Spannungen auf, lassen diese wieder zusammenfallen, konzentrieren sich sehr auf sogenannte Atmosphären. Das Problem: Atmosphäre alleine langt nicht. Kein einziger Song dieses Albums bleibt hängen, kein Refrain ist von der Natur, dass man die Faust in die Luft strecken, dass man springen, dass man den zugehörigen Song sofort mit seiner eigenen Band nachspielen möchte. Und die Texte? Ach, die Texte. Erfüllen Klischees. Singen von den sieben Plagen und vom ewigen Verlangen. Bibelbilder, angewandt auf die Liebe. Erst bei dieser Platte merkt man, wie wichtig für Mumford & Sons diese tonale Lagerfeuerigkeit war. Sie war die tragende Wand ihrer Musik.

Für WILDER MIND haben sie sich immerhin professionelle Hilfe geholt. Aber wie auch der beste Therapeut nicht helfen kann, wenn der Patient sich schon am Fensterkreuz aufgeknüpft hat, richtet auch James Ford hier nicht mehr besonders viel aus. Wir hören ein paarmal einen stringent durchömmelnden Drumcomputer, die Band hat ja keinen wirklichen Drummer. Das ist keine gute Voraussetzung für Stadionrock, aber das nur am Rande. Wir hören des Weiteren Synthies, ab und an auch klimpernde Klaviere. Aber all das wirkt eigenartig uninspiriert, seltsam verschmiert. Als hätte Tine Wittler eine Wohnung dekoriert, aber mit verbundenen Augen.