John Grant
Grey Tickles, Black Pressure
Bella Union/[PIAS] Coop/RTD VÖ: 9. Oktober 2015
Elektro- und Songwriterpop: Die harschen und die erhabenen Töne bringen den Großmeister ans Ziel.
Im ersten Eindruck wirkt John Grants drittes Soloalbum wie zerrissen. Seine entgegengesetzten Pole kennt man zwar schon vom Vorgänger, PALE GREEN GHOSTS: dunkler Elektro- versus bittersüßer Songwriterpop. Aber Grant wagt sich weiter in die Extreme.
In dem verächtlichen Stück „Snug Slacks“ pumpt der Sequencer ungehörig funky, in „Black Blizzard“ verweist nicht nur der eisige Synthesizer auf den Berlin-Bowie. Um in „Disappointing“ mit Tracey Thorn ein anbetungswürdiges Lächeln anzubeten, erscheint Grant ausgerechnet ein 80s-House-Beat geeignet. Und in „Guess How I Know“ helfen nur satter Industrial-Noise und Distortion, um sich von dem Gefühlszombie an seiner Seite zu befreien. Wer nichts davon wissen will, wie Menschen ihre Seelenverstümmelungen spazieren führen und sich dabei immer weiter gegenseitig ins Fleisch schneiden, sollte besser erst gar keine John-Grant-Songs hören.
Doch zurück zum Style: Gegenüber der „Maschinenmusik“-Seite dieses Albums erheben sich orchestral arrangierte, auskomponierte Balladen wie „No More Tangles“ oder das großartige „Global Warming“, das fast als Groteske durchginge, wäre es nur eben nicht so verdammt erhaben. An der Vervollkommnung in diesem Fach arbeitet Grant ja schon seit Jahren, die Melancholie schwappt dabei auch mal bis an den Rand. Aber selbst im flehenden Finale, „Geraldine“, knickt der Künstler nicht ein, denn er beschwört die Schauspielerin Geraldine Page auch im Wissen um die Pracht dieses Songs und seines Gesangs. Immer wieder setzt auch in diesen Balladen der Analogsynthesizer fette Marken. Der einst geprügelte Hund John Grant setzt sie ein als Zeichen der Künstlichkeit, also der Distanz – und der Macht.