Der Bürgermeister der Nacht
In Champagnerlaune
Hand 11/Broken Silence/Fidel Bastro VÖ: 2. Oktober 2015
Popsongs im Strom der Assoziationen: verzagt und groß, aber auch in ihrer Historizität verfangen.
Bessere Zeiten. Die schmutzige Schönheit der Natur. Das könnten schon Songtitel von diesem Debüt-Album sein. Sind aber nur ein, zwei Bandnamen, ein Stück Historie, das Fynn Steiner und Joachim Franz Büchner hinter sich gelassen haben auf dem Weg zum gemeinsamen Projekt, das beim „Hand 11“-Label von Pascal Fuhlbrügge erscheint, der auch produziert hat.
Geschichte und Bezüge lugen beim Bürgermeister der Nacht aus allen Ritzen (nicht nur via Fuhlbrügge: L’Age D’or-Labelgründer, Gitarrist bei Kolossale Jugend), die Band war auf dem gemeinsamen Sampler von Staatsakt und Euphorie, KEINE BEWEGUNG, der auch die Karriere von Schnipo Schranke anschubste, vertreten, ließ ihre Tracks u.a. von Erobique und dem Gameboy-Musiker Naomi Sample remixen und hat im Vorprogramm der Sterne gespielt. Deren Sänger Frank Spilker gastiert jetzt neben Andi Otto von Springintgut (Cello) und Pola Schulten von Zucker (Vocals) auf der Platte der Hamburger. Es geht auch noch eine Nummer globaler: Das Piano auf „Paybackzeit in der Opiumhöhle“ mag an Foreigners Oldie-Radio-Standard „Cold As Ice“ erinnern, der wilde Strom der Assoziationen aber, den die Band uns mitschickt, ist eher den Wirkungen eines kompletten Rausches geschuldet: „Ich bin die Madonna der nackten Gefühle, Schmerz oder Sex, sonst bitte nichts“.
Steiner gelingen aber auch kleine Zeilen von großer Wirkung: „Manchmal denke ich nur für dich an mich“. Oder: „Ich wollte Widerstand leisten, aber es war mir zu leicht“. In solchen Momenten wird IN CHAMPAGNERLAUNE zu einem großen Pop-Album, genau dann nämlich, wenn sich das Verstörte und Verzagte mit Hurra-Melodien und Angriffslust paaren. Andernorts verfangen sich Steiner und Büchner im Gestrüpp der Referenzen: „Welt auf Bierschaum“ könnte von den voll im Saft stehenden Aeronauten stammen (siehe vorhergehende Rezension), „Schwarze Dreiecksmaske“ ist eng am romantischen Gitarrendonner von Tocotronic gebaut.
Pop als Exzess, für den kein Preis zu hoch ist – die Band gibt im finalen Song „Alles für die Kunst“. Die Orgel jault auf, geopfert werden auf dem Altar der Unterhaltung: Lover, Disco, Mutter, Zähne, Therapie, ein Glas Gin und Ironie.