Neunmalcleverer Funkrockpop einer Band, die sich selbst ein ungeheures Sound- und Style-Update verpasst hat und damit alles hinter sich lässt, was gewöhnlich klingt. Oder gar nach Indie-Rock.

Nein, Maurice Ernst ist nicht Falco. Mike Krammer, der Gitarrist mit den superelaschischten Beinen, ist nicht Prince. Und Bilderbuch sind auch nicht INXS oder die Chili Peppers oder No Doubt. Aber als frühe Bezugsgrößen für die Österreicher müssen okay-olle Acts wie diese unbedingt in dieser Rezension auftauchen, ganz egal, wie gut sich die vier damit tatsächlich im Einzelfall auskennen (denn: die sind nach zwei Alben und zwei EPs gerade einmal Mitte 20). Legt man bei ihnen allerdings die Maßstäbe der Popdekaden 80er und 90er an, als schwitziger Funkrockpop noch eine lohnende Karriereoption war und ein Sänger des Genres noch ein richtiger Mann, also ein seine Oberhemdknöpfe allzu oft vernachlässigender, sich vor Verlangen in die Kameralinse bohrender Video- und Posterstar, dann müssten Bilderbuch eigentlich als eine Parodie dessen gelten.

Diese Band kann man ja schon wegen Maurice’ notorischem Augenbrauen-Hüpfen, das den Weltenlauf per se ironisch zu kommentieren scheint, nicht ernst nehmen. Dann diese Goldkettchen, ihre Hüftschwünge, ein eher linkisches Vergnügen, Falsett-Chöre, die klingen, als wären sie von einer Affenbande aus einem Kinderfilm eingesungen worden. Manchmal setzt es von Bilderbuch einfach auch mal ein wenig too much. Aber wenn wir es diesem Quartett nicht nachsehen, das gerade jetzt seinen Sound gefunden hat aus all den Möglichkeiten, die einer Band zur Verfügung stehen, die es gewagt hat, ihre starre Formation aufzugeben – wem dann?

Bilderbuch sind ja außerdem auch nicht doof. Im Gegenteil: neunmalkluge Kinder der Postmoderne sind das. Und als solche wissen sie: Selbst dein bestes Zitat ist heute kaum mehr wert als der Speicherplatz auf deiner Festplatte, den es belegt. Und deshalb bedienen sie sich unter der imaginären schützenden Hand ihres Bandheiligen Kanye West dort, wo sich bislang kaum eine Rockband bedient hat – bei Dr. Dres P-Funk-Samples zum Beispiel oder beim R’n ’B, oder sie bauen sich aus Daft Punk, Van Halen und Phoenix einen Hybriden zusammen, wie sie es mit dem alles überstrahlenden Hit „ Maschin“ getan haben. Viele ihrer relevanten Zitate können zudem gleichzeitig als Kommentar auf das Zitierte verstanden werden – hier setzt sich das Augenbrauen-Hüpfen gewissermaßen musikalisch fort. Dass Axl Rose die Synthiefanfaren und den übermütigen Funkbass des Openers „Willkommen im Dschungel“ aus vollstem Herzen hassen würde, dürfte klar sein. Während die Tatsache, dass die Vorabsingle „Spliff“ tatsächlich ein wenig an die Deutschrock-Studiowizards gleichen Namens erinnert, bestimmt nur eine Laune des Zufall ist. Obwohl deren Ansatz, Funk und Disco in den Rock zu holen, dem von Bilderbuch gar nicht so unähnlich war … aber das war 1982 und alle Schuster blieben letztlich bei ihren Leisten.

Auch mit dem Meta-Thema von schick schock – es geht, vereinfacht gesagt, ums „Heiß“-Sein – liefern Bilderbuch einen Subtext zu ihrer Verwandlung von einer komplexen Indie-Band zu cleveren Monsters of Funkrock mit – und spielen dabei auch noch auf Felder wie Dekadenz und Übersexualisierung an, die im Big-Player-Pop allseits präsent sind, in dessen Gründen sie da gerade lustig wildern.

Am Ende müssen wir natürlich noch einmal auf Falco zu sprechen kommen. Denn ohne dessen Mix aus Schmäh, süffisant angeleckten Anglizismen und lautmalerischen Silbenspielereien wäre Maurice Ernsts Stil undenkbar. Herr Ernst ist allerdings nicht angetreten, um Herrn Hölzel zu kopieren. Für ihn und Bilderbuch ist er nur ein Ausgangspunkt mehr. Aber Falco wäre ganz bestimmt stolz auf diese Burschen.

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