Antony And The Johnsons
Swanlights
Rough Trade VÖ: 8. Oktober 2010
Ein Hoch auf das sperrige Lied! In den elf neuen Songs treibt es den Sänger noch ein Stück weiter weg vom Pop in die Welt der Sinfonien und Jazz-Harmonien.
Wir haben gelernt, vorsichtig mit Celebrities zu sein. Seit Antony Hegarty aus der Obskurität der New Yorker Drag-Queen-Szene in den Rang einer Konzert-Sensation aufgestiegen ist, muss er sich wie seine prominenten Kollegen auch an der Qualität seiner Inszenierung messen lassen. In so einem Moment fallen die Geschichten von Transsexualität und Transformation, die Lieder, die vom Ausbruch aus den Gefängnissen von Pein und Paranoia erzählen, hinter die schillernde Person Hegarty zurück – der Popstar am Totenbett der japanischen Butoh-Legende Kazuo Ohno, der Entertainer, der bei einem Auftritt Witze über seine Krankenakte macht und in der News-Sparte seiner Homepage ökologische Nachhaltigkeitskonzepte diskutiert.
Das gemeine Leben im Pop-Betrieb relativiert die Schmerzensgeschichte des Antony Hegarty, und das ist gut so. Es gab nur eine Möglichkeit für den 38-jährigen Sänger und Songwriter, die Aufmerksamkeit wieder auf sein Kerngeschäft zu lenken: ein neues Album. Es wird vom ehrenwerten Londoner Rough-Trade-Label veröffentlicht und erscheint darüber hinaus als limitierte Auflage im Kunstbuchverlag Abrams, als Beigabe zu einem 144-seitigen Buch, welches Collagen, Fotografien und die Malerei Antonys zeigt. Der Künstler im Gesamtkunstwerk, eine größere Annäherung an Antony hat man bislang nicht bestaunen dürfen. Es ist eine feste Übereinkunft, dass es sich bei Antony um schützenswertes Kulturgut handelt, und als solches wurde es vor eine schwierige Prüfung gestellt.
Würde der zur Lichtgestalt erklärte Sänger noch als so etwas wie „er selbst“ aus der Welttournee durch Opernhäuser und Prunkarenen zurückkehren, mit der unmittelbaren Emotionalität der frühen Aufnahmen? Oder als weiteres Opfer des Rattenrennens im Pop? SWANLIGHTS gibt ex post eine Antwort darauf: In den elf neuen Songs wird Antony noch ein Stück weiter weg vom Pop in die Welt der Sinfonien und Jazz-Harmonien getragen. Es ist wie eine schicksalhafte Begegnung, die ihm widerfahren ist und die er nun, mit der ihm eigenen Beseeltheit fürs Publikum interpretiert, dankbar weitergibt. Nicht ganz zufällig heißt einer der neuen Songs „Thank You For Your Love“, und diese Zeilen, die Antony durch ein wachsendes Rhythm’n’Blues-Gestrüpp trägt, sind auch als Dank an diejenigen zu lesen, die ihn aus der Twilight Zone ins Zentrum der Aufmerksamkeit beförderten. THE CRYING LIGHT Anfang 2009 war die Platte, die Antony aus dem Transgender-Kontext in einen Pop-Rahmen katapultierte.
Er war der Schmerzensbruder, den wir liebten, weil wir seine Geschichten für uns lesen konnten, gleich mit welcher sexueller Neigung wir Vorlieb nahmen. Von der Transparenz und Offenheit des Vorgängers hat Hegarty sich verabschiedet. Die Lieder klingen sperriger, schwieriger. „Everything Is New“ zu Beginn zieht den Hörer ganz langsam in eine klaustrophobische Kammermusik, in der der Sänger sich minutenlang über denselben Zeilen exaltiert: „I cried everything/ Everything is new/ I cried everything/Everything is new/ I cried everything/ Everything is new“. Die Seele tobt im Körper. Das Neue kommt nie wieder so nah wie in diesen viereinhalb Minuten. Im Duett mit Björk („Flétta“) wird das Gesangsspiel glatt vom Piano überragt, das mehr an die minimalen Etüden Erik Saties als an Pop erinnert. Anderenorts sind Bienenschwärme von Streichern unterwegs, ein Lied zu erhöhen, zu liebkosen und wieder fallen zu lassen. Auch hier der Sänger hinten dran. Vielleicht soll das so sein.
Im fast sechsminütigen Titelsong, neben waberndem Gitarrenfeedback, fällt Antonys Stimme in die Soundmaschine, wird vervielfacht, verfremdet, verhallt. Und endet in einem Hauch von Sound. So hören sich letzte Lieder auf letzten Platten an. Man sollte das Gedankenspiel dennoch nicht strapazieren: Von den „Schwanenlichtern“ führt eben kein direkter Weg zum Schwanengesang.Diese Platte mag mit den Pop-Erwartungen kurzen Prozess machen, auf ein anderes Spielfeld hat Antony sich gerade erst vorgetastet. Diese Songs sind erste Bilder davon, noch etwas wacklig, aber voller Anmut.