The politics of dancing: James Murphy verkabelt den Dancefloor mit der Rock-History und macht dabei die Disco schlau.

Murphy can dance. Das Cover des neuen LCD-Soundsystem-Albums darf als Arbeitsnachweis gelesen werden. Es dokumentiert aber auch des Künstlers Lust am Spiel mit dem eigenen Status. Schaut her, der Dancefloor-Daddy muss euch Partykindern noch den Jive der Stunde buchstabieren. Das körnige Schwarzweißfoto ist die visuelle Umsetzung der Schmirgelpapierdisco, die der 40-jährige Dancepunk-Architekt auf seinem letzten Album unter dem Logo LCD Soundsystem veranstaltet.Neun Minuten Zeit nimmt sich James Murphy zu Beginn von THIS IS HAPPENING, um eine Art Disco-Manifest zu formulieren. Es beginnt mit dem schönsten Jonathan-Richman-„Ahaaa-Ahaaa“, das nicht von Richman stammt und verwandelt sich nach drei Minuten und acht Sekunden in einen Killer-Track, der mit elektronischen Erschütterungen operiert, und er geht so: „Go and dance yourself clean / go and dance yourself clean, yeah / you’re blowing marxism to pieces / their little arguments to pieces“ („Dance Yourself Clean“). Vor 30 Jahren haben Salon-Marxisten wie Green Gartside (Scritti Politti) die Pop-Diskurse der tanzenden Gesellschaft informiert, heute wird der Marxismus in Stücke getanzt. James Murphy, 1970 in den Suburbs von Princeton, New Jersey, geboren, Ex-Rausschmeißer in einem Nachtclub und Ex-Drummer einer bedeutungslosen Punkband, würde sich dagegen verwehren, als „politischer Künstler“ bezeichnet zu werden. Er erfindet den Dancefloor als Metapher für die großen Dinge des Lebens nur immer wieder neu: Liebe, Freundschaft, Sex. Man könnte auch sagen: Er hat die Disco der Alterspyramide angeglichen und für ein in die Jahre kommendes Publikum mit Sounds und Grooves abseits des Großraumbumms geöffnet. Das Motto von THIS IS HAPPENING lautet: Alter Sack macht die Disco schlau. Es sind die David Bowies und Damon Albarns der „Golden Years“, die der Amerikaner auf seinen Dancefloor zitiert, um deren beste Momente zu sequenzieren. Wir fliegen mit „Heroes“ in die „All I Want“-Disco und erörtern mit Blur und den Strokes die Unterschiede zwischen Girls And Boys: „Drunk Girls“ gehört zu den süffigsten Punk-Pop-Abfüllungen der letzten Jahre. Es geht aber auch subtiler: „Change“ wird Murphy mit dem „Taschenrechner in der Hand“ (Kraftwerk) ausgetüftelt haben, „Hit“ ist eine beachtliche Integrationsleistung im weiten Feld von New Wave und Space Disco.Anleihen aus der Rock- und Pop-History waren schon auf dem Vorgänger SOUND OF SILVER zu vernehmen gewesen, ein Album, das erstmals die Aufmerksamkeit auf den Songwriter Murphy lenkte. Auf THIS IS HAPPENING lehnt Murphy sich als Vokalist aus dem Fenster. Er betätigt sich als Crooner und Schönsänger, als Nöler der Mark-E.-Smith-Schule, er fährt seine Unzulänglichkeiten wie selbstverständlich über neun Tracks spazieren. Murphys Gesetz, Artikel 1: Uncool ist cool. Dieses Album geizt aber auch nicht mit den kalten, klaren Basslines, die Murphys Tracks auf Bodenhöhe durch den megalomanen Groove-Dschungel ziehen.Obendrauf dieses unglaubliche Gebrabbel, die unverschämten Bowie-Kopien und der bongoide, hin und wieder um Kuhglockenklänge erweiterte Disco-Zauber, der dem Soundsystem die Marktführerschaft im weiten Feld der Entwicklung von Dance-Rock-Hybriden sichert. Seit dem krautrockenden Selbstbekenntnis „Losing My Edge“ von 2002 dreht sich das LCD-Universum um die Discokugel. „Open your arms – dance with me until I feel alright“ säuselt Murphy in die Beats von „Change” und fügt hinzu: „It’s good in the dark but into the lover’s light here comes another fight“.Klingt wie Popmusik für Erwachsene. Ist es auch. Die neuen Tracks haben das Zeug, LCD Soundsystem weit über den Tagesbetrieb hinaus in die größeren Bestenlisten zu tragen. Man wird sie noch auflegen wollen, wenn Florence-And-The-Machine-Platten schon in den Grabbelkisten der Musikwarenhäuser überwintern. Man möchte dazu tanzen, hier und jetzt sofort.