Neon Indian
Psychic Chasms
Static Tongues (Rough Trade) VÖ: 26. November 2010
Chillige Analogbasteleien aus Texas.
Neon Indian sollten beim Berlin-Festival im September eigentlich 40 Minuten spielen. Anführer Alan Palomo war aber so intensiv damit beschäftigt, elektronisches Equipment anzuschließen, dass die geplanten 40 Minuten auf eine Viertelstunde zusammenschrumpften. Wer noch nichts von der Band aus Texas gehört hatte, war nach der Kurzdarbietung genauso schlau wie vorher. Aber die meisten Leute im Publikum wussten Bescheid. Sie hatten die Songs von Neon Indian schon eine Weile auf ihren portablen Musikabspielgeräten gespeichert. Ihnen ist PSYCHIC CHASMS schon beim Studium verschiedener Resümees des Jahres 2009 aufgefallen. „Pitchfork“ etwa führte das Album in seinen Top 20. Wenige Monate später wurde darüber eifrig in Blogs und Foren diskutiert, die Zahl der verkauften Downloads schnellte in die Höhe. Good news travels fast. Mindestens zwei Dinge über PSYCHIC CHASMS sollte man wissen. Einmal taucht im Song „Deadbeat Summer“ ein Sample aus Todd Rundgrens „Izzat Love“ auf. Das hat sehr wohl etwas zu bedeuten. Es soll sagen: Neon Indian sind Pop! Darüber hinaus muss man sich vergegenwärtigen, dass die psychedelischen Space-Rocker Ozric Tentacles einen Song namens „Psychic Chasm“ im Repertoire haben. Das wiederum sagt: Neon Indian sind auch unkonventionell. Kommt beides zusammen, wird daraus zum Beispiel „Should Have Taken Acid With You“, ein Song mit simpler Melodie und Geräuschen aus einem ausrangierten Computerspiel. Der Bass-Sound ist nach hinten gemischt und überall knattert, brummt, zischt und piepst es. Auf die Idee, digitale Software von heute für sich arbeiten zu lassen, kommt Palomo nicht. Er ist nicht bequem, er versetzt sich lieber in die Köpfe der Pioniere elektronischer Musik und stellt sich vor, wie es damals wohl war, als sie ihre ersten Gehversuche machten. Er hat sich altmodische Geräte angeschafft und geht damit wie ein Junge um, der nach Lust und Laune mit seinem Baukasten spielt. Er probiert, verwirft und macht, ohne sich um die Perfektion des Klangs zu kümmern. Man ist geneigt, an das böse Schlagwort „Indietronics“ zu denken, aber dafür ist Palomo nicht introvertiert und zaghaft genug. Er ist schon sehr direkt und hat nichts dagegen, wenn man seine Lieder mitsummt. Er kennt sich mit elektronischer Musik aus, die es zwischen den Achtzigern und den frühen Daft Punk gegeben hat. Er macht Musik wie MGMT ohne das dicke Budget. Er hat eine ähnliche Schwäche für Soft Rock wie Ariel Pink. Und aus dem Handbuch der Ambient-Klänge kann er auch ganz hervorragend zitieren. Im Kopf von Alan Palomo passieren immer ganz viele Dinge auf einmal. Manchmal wird daraus etwas, das sich so anhört wie Kinder, die wild durcheinander reden. In den meisten Fällen gelingt es Palomo aber, seine Gedanken zu kanalisieren und mehr Todd Rundgren als Ozric Tentacles zu sein. Das hört sich dann ausgesprochen einladend an. Fans der ersten Stunde werden sich natürlich wundern und fragen: Warum taucht dieses Album erst Monate nach dem Hype in den USA als „Platte des Monats“ auf? Ganz einfach: In Deutschland erscheint PSYCHIC CHASMS erst jetzt als CD – ein Jahr später als in den USA. Labels und Vertriebe warten in bestimmten Fällen lieber mit einer physischen Veröffentlichung und werden erst bei einer spürbaren Reaktion im Ausland aktiv. Das war schon immer so und ist erst recht so, seitdem über das Netz ständig neue Bands ihr Glück versuchen und für Reizüberflutung sorgen, um sich dann live an einem Abend, zum Beispiel in Berlin, gegenseitig die Zuhörer wegzunehmen. Andererseits gehen die Plattenlabels auch ein Risiko ein, wenn sie mit Verspätung aktiv werden. Der Hype ist dann längst verpufft und weitergezogen. Pop kann sich innerhalb eines Jahres drastisch verändern, wenn er will. Das kann dann schon mal zum Problem werden. Im Fall von Neon Indian wird es das aber nicht. Das Haltbarkeitsdatum dieser chilligen Analogbasteleien ist noch längst nicht abgelaufen. Man entdeckt immer noch spannende Ecken in ihnen. Wenn Alan Palomo jetzt noch alles rechtzeitig eingestöpselt kriegt …