Björk

Vulnicura

One Little Indian/Rough Trade

Streicher, Atmo-Beats von Produzent Arca, und Björks Stimme, die lange nicht so dicht an der Seele sang.

Der Vorgänger BIOPHILIA war durchaus ein Werk der Wissenschaft. Björk sang über Atome und Elemente, verpackte die Musik in ein aufwendiges, multimediales Applikationspaket und ermunterte ihre Hörer, selber zu forschen. Es war ein großer Auftrag. Manch einer war überfordert: Mal einfach wieder schöne Lieder von Björk, das wäre doch mal was. Bitte sehr: „Stone Milker“, der erste Song der neuen Platte. Schöner kann es nicht werden. Panoramastreicher, so weit das Ohr reicht, und Björk singt dazu unverfälscht über echte Gefühle: Darüber, dass Momente der absoluten Klarheit selten sind. Dass es hübsch wäre, Gefühle zu synchronisieren, die gewohnten Koordinaten wiederzufinden. Einen Stein zu melken, darum geht es. Gefühle zu erzeugen, bei einem Menschen, dessen Herz eingefroren zu sein scheint. Es ist ein Lied über den geheimnisvollen Anfang einer schwierigen Beziehung, und diesem Anfang wohnt tatsächlich ein Zauber inne.

Fünf weitere Songs folgen, in denen Björk die Geschichte dieser Beziehung weitererzählt. „Lion Song“ handelt von der Unmöglichkeit, dieses Herz zu zähmen; in „History Of Touches“ wacht die Protagonistin mitten in der Nacht auf und kuschelt sich an. Björk war in ihren Liedern schon immer daran interessiert, Intellekt und Gefühl zu vereinen. So sehr in Richtung Emotionalität ist ihre Musik jedoch schon lange nicht mehr ausgeschlagen.

Das erste Drittel des Albums ist ein berührendes und erhabenes Erlebnis, dann schlägt die Stimmung um. Es wird düsterer, komplexer, existenzialistischer. „Black Lake“ erhält mittendrin einen pulsierenden Beat, die Körperlichkeit hält Einzug. Co-Produzent Arca hat einen grandiosen Job gemacht, er hält die Balance zwischen den Streichern, den Stimmen und den Beats, die an dieser Stelle immer prominenter werden.

Ein weiterer Bruch auf der Platte ist „Atom Dance“, Song Nummer sieben. Die Beziehung ist vorbei, jetzt startet die Transzendenz. Aus dem Nichts kapert Antony Hegarty als Gastsänger das Stück, es geht um Männlichkeit und Tanz, Natur und Tod. Man wird diese Stücke im letzten Drittel wahrscheinlich nicht so häufig hören wie die vom Anfang, aber sie sind ein wichtiger Teil dieses großartigen Albums, auf dem uns Björk so nahe kommt wie zuletzt auf HOMOGENIC.