Arcade Fire
The Suburbs
Universal VÖ: 2. August 2010
Trügerisch schunkelnder Folkrock, der sich im Unterbewusstsein offenbart: Die Fassade der heilen Vorstadtwelt ist brüchig.
The Kids Are Alright? Ja, das sind sie. Zumindest wenn man, wie Arcade-Fire-Sänger Win Butler, an ihr Anrecht auf Revolution glaubt: „Let’s go downtown and watch the modern kids“, singt er in „Rococo“. Dort bringen sie Gebäude zum Einsturz, „throwing the ashes all around“. Im Stück „City With No Children“ bestaunt Butler die Abwesenheit der Jungen in einer Metropole, die nur noch von Millionären in ihren „Private Prisons“ bewohnt wird. Butler hat Recht: Wer mit halbwegs klarem Geist will dort noch leben? Also: The Kids Are Alright!Aber was genau wollen sie? Sie wollen die Flucht aus der Stadt, den Aufbau einer Geheimgesellschaft in den Vororten, den SUBURBS, wie Butler und seine Band ihr drittes Album betitelt haben. Das trügerisch gemütliche Titelstück beschreibt, wie Heranwachsende sich ihre Refugien in Gärten aufbauen, das Gesetz der Straße etablieren, aber auch, wie sie ihre Sicht auf die Vorstadt ändern – was einst idyllische Heimat war, wird einem als Erwachsener mit Alltagsbiografie zum Gefängnis. Die Anarchie in einem von Eltern entvölkertem Fantasieland, das Win Butler in „Neighbourhood #1 (Tunnels)“ ehemals so mitreißend besang („And since there’s no one else around / We let our hair grow long, and forget all we used to know“), ist unwiderruflich vorbei.
THE SUBURBS ist ein mutiges Album geworden. Es zeigt die Risse im einstigen Arcade-Fire-Konzept, welches die ewige Weisheit der Jugend beschwor, und setzt dem ein Wir-wissen-nicht-wohin-Ausrufezeichen entgegen. Es ist auch musikalisch ein mutiges Album geworden. Stärker als die beiden Vorgängerwerke setzt THE SUBURBS auf Geschlossenheit. Einen sehr dichten Rocksound, in dem die instrumentelle Vielzahl des bis zu zehnköpfigen Ensembles nicht übermäßig vorgeführt wird, was früher gelegentlich zum Selbstzweck geriet. Kirchenorgeln wie einst bei „Intervention“, um einen Todesfall in der Familie zu illustrieren? Hatten wir verstanden. Ein Banjo als Instrument des wandernden Hobos bei „Keep The Car Running“? Hatten wir auch verstanden.
Auf THE SUBURBS regiert nun etwas Anderes, etwas Unterbewusstes. Ein tiefer Ton, der jeden Song grundiert, ein beständiges Rauschen, eine Windmaschine vielleicht, die die Blätter auf den Straßen der Suburbs verteilt. Ein unterdrückter Konflikt. Der Klang eines Sturms im Wasserglas. Das gemütliche Schunkeln von „The Suburbs“ erweist sich in der Reprise des letzten und 16. Songs demnach als Falle. Ein Neuarrangement macht aus der Folknummer ein verstörendes Jazzpop-Stück, das auch Angelo Badalamentis „Twin Peaks“-Score gut gestanden hätte – der ebenso die dunkle Magie des Kleinstadtlebens preist.Am Ende des Albums möchte man in einen Vorort fahren. Vielleicht einen Gartenzaun umreißen, als Erstes. Und nicht genau wissen wollen, warum.