Arcade Fire

Reflektor

Merge/Vertigo Berlin/Universal

Führe uns sanft, James Murphy: Arcade Fires REFLEKTOR ist ein Dialog, in dem Band und Superproduzent mit vielen Zungen sprechen.

Bands, die etwas auf sich halten, veröffentlichen 2013 keine Alben mehr, sie veröffentlichen Ereignisse, die schon Monate vor dem eigentlichen Termin langsam in unser Bewusstsein einfaden. Bedeutet: Dass vermutlich Mitglieder sogenannter Streetteams vor Wochen mittels Schablone Trottoirs in London, Tokio, Prenzlauer Berg mit mysteriösen Logos markierten, ist mindestens ebenso Teil davon wie die „Black Is Black“-Bassline (Sie wissen schon, die, mit der auch schon die Sterne und Sniff ’n’The Tears lustigen Unsinn anstellten) oder Bowies kurze Vokalgarnitur auf der Oberfläche des vorab ausgekoppelten Titeltracks. Streng genommen gehört auch die Tatsache dazu, dass der Journalist das Doppelalbum – es ist eines, das auch auf eine einzelne CD gepasst hätte – vorab zwar hören durfte, aber keine Titel mitgeliefert bekam. Alles ist also Teil eines Konzepts, das auf maximale Aufgeregtheit abzielt. So konnte man vorab auch die Verpflichtung von James Murphy nicht nur als Personalie, sondern auch als Schachzug lesen. Arcade Soundsystem! DFA Fire! Ein wenig sei Entwarnung gegeben: Keinesfalls spielt Murphy so sehr an Arcade Fire herum, dass sie sich neu kontextualisieren.
Viel eher ist es so, dass James Murphy den bestehenden Kreativkörper an einzelnen Stellen anbohrt und anschließend gemeinsam mit der Band neu ausspachtelt. Er geht an die Texturen, und so ist vor allem die erste der beiden CDs eine interessante Hörerfahrung, deren Anfang jedoch in die Irre leitet: Das DFA-typische Geklöppel, das „Reflektor“ prägt, wird in der Folge nur als lose Idee weiterverarbeitet, das Relevante passiert außenherum und ist ständiger Veränderung unterworfen. Da sind einzelne Gitarrenakkorde, die im Raum verhallen. Da tönt der große Chor, da klingen die Synthies wie die Raketen aus Space Invaders, da treffen freie Psychedelic-Patterns auf Streicher. Win Butler klingt nicht nur wie Win Butler, sondern auch wie David Bowie und Gordon Gano. Er pflegt die große Geste, und wenn er es nicht tut, tun es die anderen. „The Fantastic Arcade Fire!“ lobt im vorletzten Song eine Stimme aus dem Off, und als Hörer denkt man: Ja, Arcade Fire sind schon ziemlich gut.
Die zweite CD bedient die klassischen Vorstellungen von der Band. Streicher, eine Kirchenorgel. „Here comes the night-time again“, haucht Butler. Schwüle Between-the-sheets-Stimmungen, die erst nach zwei, drei Minuten von Synthies aufgelöst werden. Einen Song später ist plötzlich alles wieder so groß wie eine Festivalbühne um 22 Uhr, aber nicht nur, denn: Immer, wenn man zu sehr an Arcade Fire denken muss, wird ein Keil in den Moment getrieben, ein Bass oder etwas, das wie eine Bohrmaschine klingt. „ Makes me feel like something is wrong with me“, singt Butler einmal. Falsch ist hier überhaupt nichts.

Die Track-By-Track-Besprechung von Benjamin Jungert findet Ihr hier.