Indie-Folk-Rock: Über Tod, Familie und die Nachbarschaft hinaus: Arcade Fire spiegeln nicht länger nur sich selbst.

Mehr ging eigentlich gar nicht. Mehr unterschiedlichste Gefühlswallungen, mehr kollektiver Rausch und lautstark geäußerte Euphorie. Und das auf beiden Seiten, bei Hörern und Band. Arcade Fire hatten für den Hörer kleine Nachbarschafts- und Familien-, aber auch große Lebensdramen durchlitten, am Ende jedoch immer Läuterung, Leichtigkeit und Lebenslust vorgelebt. In jedem einzelnen der zehn Songs von FUNERAL. Folglich konnte man – als bekannt wurde, dass die Band ihr zweites Album in einer alten Kirche aufnimmt – mindestens messianische Heilserwartungen haben.
Auf NEON BIBLE nimmt Win Butler allerdings nur einmal allen Schmerz auf sich, „Intervention“ ist der vorläufige Schlusspunkt dieser Geschichte, die krönende Abschiedsmesse für alle Verstorbenen samt großer Kirchenorgel. Mehr geht nicht. Im paranoid-dräuenden Opener „Black Mirror“ legt Butler dafür die gesellschaftliche Wunde offen, befragt das schwarze Spieglein an der Wand, wie viele Bomben wohl noch fallen mögen. Und im akustischen, fast spartanischen „Windowsill“ verkündet er freimütig und fatalistisch, nicht mehr im Haus seines Vaters (Butler stammt aus Texas) und nie mehr in Amerika leben zu wollen, dessen Schuld sei zwar vergeben, aber nicht vergessen. Nicht nur in dieser Hinsicht wird der Ton schärfer und expliziter, denn auch Arrangements und Produktion gefallen sich nicht länger nur in überwältigender Überladung, sondern lassen neuen Raum. Vor allem für den fast alle Gesangsparts übernehmenden Butler und dessen neu gewonnenen stimmlichen Umfang, der von einem sonoren Brummen („Neon Bible“) bis hin zu einer schon Parodie zu nennenden Springsteen’schen Interpretation („Antichrist Television Blues“) reicht, wobei in Letzterer der in perfektem Boss-Duktus von sich erzählende, ehrlich arbeitende und gottesfürchtige kleine Mann am Schluss sich als Antichrist entpuppt. Nicht dass nun ein falscher Eindruck entsteht, auch auf NEON BIBLE geht es in ein- und demselbem Song um Gefühle der Verstörungund Hoffnung („Ocean Of Noise“), um kollektive Utopien („No Cars Go“) und gemeinsame Euphorie. Nur sich selbst noch mehr aufladen, das geht nicht.