Nick Cave & The Bad Seeds
Push The Sky Away
Bad Seed Ltd./Rough Trade
Der mittelalte Mann und seine mittelalte Meute wagen Experimente. Gehört das nun noch zum Alten oder endlich zum Neuen Testament des Rock?
Grinderman war eine Bestie. Alt und räudig, und doch ein Alphatier, gezielte Bisse setzend. Wer über dieses Nebenerwerbsgewolfe von Nick Caves Bande schmunzeln wollte, tat dies besser aus sicherem Abstand. Aber auch auf Dig!!! Lazarus Dig!!!, dem letzten Album der Bad Seeds von 2008, blies Cave zur Hatz: Rocksoul, Soulrock, fieser Blues. PUSH THE SKY AWAY scheint nun seine Rückkehr ins Balladenfach zu markieren. Ein Wechselspiel, das sich durch die 30-jährige Seeds-Geschichte zieht: Einmal tost die Gang, dann schwelgt sie wieder usw. Senken wir also die Stimme, wie Cave es hier tut, und fragen: Ist das jetzt das Alterswerk des Ü-50-Musikers samt Ü-50-Musikantenverein?
Kollege Pilz schreibt vorn in diesem Heft: ganz klar Alterswerk! Doch wer diesen Begriff mit den entsprechenden Klischees gleichsetzt, die es sich sogleich im Ohrensessel und an der Kuchentafel gemütlich machen, kriegt nicht mal die halbe Wahrheit. Stimmt schon, Push The Sky Away ist die Arbeit eines Künstlers, der dank der Weisheit seines Alters sich einen größeren Abstand gestattet zu dem, was um ihn herum hektisch Kreise zieht. Und der durch den Abstand, den er sich genehmigt, wiederum zu Schlüssen größerer Weisheit gelangt. Doch gleichzeitig wagt Cave mit dieser Platte Experimente: Er schreibt sich nicht mehr als Geschichtenerzähler wund, sondern zieht sich auf die Beobachterposition zurück, schaut den Geschichten gewissermaßen beim Entstehen zu, staunt Begriffen und Bedeutungen durch die unergründlichen Weiten des Internets hinterher, erlaubt sich Spielereien, Leichtigkeiten, altersgeile Albernheiten – und reimt zur Krönung des „Higgs Boson Blues“ „Hannah Montana“ auf „African Savannah“. Auch wenn drum herum natürlich wie seit ehedem das Unheil herangrollt und der Protagonist kaum zehn Schritt weit kommt ohne Dämonenbefall oder wenigstens einen ordentlichen Taumel.
Noch auffälliger ist freilich das musikalische Experiment, für das diese Platte steht. Nach dem Abschied des langjährigen, auf Formvollendung bedachten Band-Arrangeurs Mick Harvey kehrt Waren Ellis mit eisernem Besen. Der ewige Blues bleibt allgegenwärtig, aber oft wird er nur als dunkler Loop durch den Song geschleift. Eine Gitarre glüht auf einer einzigen Saite vor sich hin. Zwei Akkorde genügen für die Ewigkeit. Und vier Noten auf dem Rhodes-Piano zum Verlieben. Oft sind es kaum mehr als Zustände, aus denen erst Caves Gesang einen Song macht. Und ein kurzer Aufzug eines Streichquartetts reißt hier gleich den ganzen Himmel auf. Das erinnert im Ergebnis nicht nur an Caves und Ellis Soundtrack-Arbeiten, sondern auch an das sprödere Frühwerk der Bad Seeds. Der Kreis schließt sich. Ganz klar Alterswerk!