Die Türen
ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ
Staatsakt/Rough Trade VÖ: 10.02.
Die Berliner drehen an der Aufmerksamkeitsschraube – im Gemenge von Rock- und Pop-Hookline, Jam-Session und Kulturphilosophie finden sie mehr denn je ihren Jive.
Wir schreiben das vierte Album der Türen. „Rentner und Studenten“, das erste Stück der neuen Songkollektion der Berliner Band ist über elf Minuten lang und beginnt sich spätestens nach dreieinhalb Minuten in eine veritable Jam-Session zu verwandeln, die um ein Gitarrenriff und Keyboardwände kreist, Grundton, geradeaus, einmal darf’s an- und wieder abschwellen. So ein Ding, mit dem Grateful Dead 30 Minuten formvollendet auf der Stelle treten konnten. Dazu gehört der Hinweis, dass Maurice Summen und Kollegen als Proberaumkinder in der westfälischen Provinz ihre ersten musikalischen Erfahrungen im Jammen machten, die nun in der Praxis des Pop als Verweisstück (vor allem auf die eigene Geschichte) auftauchen. Solchen Momenten ist das Spiel mit Form und Inhalt klar anzumerken, zum Jam verkeilt Summen Aufklärung und Ton Steine Scherben zu einem schönen Satz: „Wissen ist Macht Kaputt was euch kaputtmacht.“
Das ist die Eröffnung, danach begibt sich die Band in ein „Schwarz-gelbes Unterseeboot“ mit Rock’n’Roll-Schlagseite, in dem Summen die Befindlichkeit seiner Peer Group in ein paar Worten festzuzimmern sucht: „Rot denken, schwarz arbeiten, grün wählen“. Es gibt eine Tendenz zum klassischen, leicht verschwitzten Rock und Pop mit Schubidus und ratternden Hooklines, die um dein letztes bisschen Aufmerksamkeitsspeicher buhlen, aber die Türen drehen noch ein wenig an der Wahrnehmungsschraube, es gibt ein „Handbuch“ zum Album, in dem Summen mit dem kultur- und popphilosophischen Rasenmäher durch die letzten 50 Jahre geht. Vorläufig letzte Meldung: Jeder ist sein eigener Mitmachmythos. Hatte Warhol das nicht gewollt? Es ist zu vermuten, dass ein Teil der Fans gar nicht dorthin mitgehen will, wo der Autor, Sänger und Labelmacher sich im Swing seiner Gedanken dehnt und beugt.
Bei der Covergestaltung dagegen ist der Käufer zur Aktivität verdonnert, nutzt er die beiliegenden Aufkleber (von der Stones-Zunge bis zum Facebook-Daumen, alle Buchstaben des Alphabets) nicht, bleibt das neue Türen-Album ein „White Album“. So oder so zitieren wir also Pop-Geschichte und -Sozialisation. Das kann man die Retrofalle nennen, die Türen besitzen aber die Qualität, sich nicht vom System musikalisch unterjochen zu lassen, lieber singen sie es zu Tode. Hitverdächtig auch noch. Mit den Refrains der beiden Gassenhauer des Albums („Was passiert“ und „Don’t Google Yourself“) dürfen wir dann für ein paar Sekunden unseren Kopf verlieren, was ein anderes Wort für Pop ist. Aus der großen Show steigt Summens aufgeregter Gymnasialsingsang wie eine letzte Erinnerung an den Freund, der dich in die Seite zwickt. Aktuell für den Merkzettel der Downloadgeneration: „Böse Menschen kaufen keine Lieder“ („Pop ist tot“). Key Tracks: „Rentner und Studenten“, „Don’t Google Yourself“, „Was passiert“