Dear Reader
Idealistic Animals
City Slang/Universal VÖ: 2.9.
Art-Pop oder so. Oder: Wie man schwere Themen so leicht in Musik aufgehen lassen kann.
Sind die ersten Gitarrenakkorde, die dem elektronischen Vogelgezwitscher im ersten Track dieses Albums folgen, etwa „House Of The Rising Sun“ entnommen? Die Irritation währt nur ein paar Sekunden, dann tritt die zauberhafte Stimme von Cherilyn MacNeil in den Song, um von der Pein und dem Leid zu künden, die Idealistic Animals im Sturm einnehmen werden, ohne dass es nur ansatzweise unter dieser Last zerbrechen könnte. „At night my body aches/ for your warmth under the sheets“ – das sind die zwei Zeilen, die den Ton setzen und dem Hörer die Decke über den Kopf ziehen, damit er die folgenden 40 Minuten in der Zweisamkeit mit Cherilyn MacNeil verbringen kann.
Idealistic Animals bringt das Kunststück fertig, zur gleichen Zeit ein intimes und opulentes, ausschweifendes Pop-Werk zu sein. MacNeils Solo-Album, das unter dem Namen ihrer ehemaligen Band Dear Reader erscheint, verlagert das Thema des Vorgängers Replace Why With Funny aus dem großen, gesellschaftlichen Rahmen (ihrer Heimat Südafrika) in den kleinen, intimen Kreis (ihrer Wahlheimat Berlin): Wie lebe ich mit meiner Zerrissenheit, was bedeutet mein Wertesystem noch? Die schweren Fragen gehen bei Cherilyn MacNeil in einer leicht davonfliegenden Musik auf, statt der Antworten finden sie verspielte, orchestrale Klangkaskaden, an denen Brent Knopf als Produzent wieder ganz vorteilhaft mitgewirkt hat. Es ist viel Luft in diesen von Chören, Oboen, Waldhörnern und von den melancholischen Tonreihen MacNeils angeführten Songs, und am Ende verliert sich die schönste Pianomusik in den Manipulationen, die man der Elektronik zukommen lassen kann. Reichlich Stoff, großes Drama, musikalisch bestens illustriert.
Key Tracks: „Mole (Mole)“, „Kite (Soon We’ll Light Up)“, „Monkey (You Can Go Home)“