Plädoyer für… Money Boy und die Kunst der HipHop-Kunst
Große Kappen, absurde Texte: Money Boy gilt vielen als alpenländischer Ali G. In Wahrheit ist er ein Sinnbild für ein gerne vergessenes Element der HipHop-Kultur: die Kunst. Plädoyer für einen unverstandenen Helden der Popmusik. Aus dem aktuellen Musikexpress.
Sebastian Meisinger hatte einen Traum. Er wollte Profibasketballer werden, am besten in der NBA, in Amerika also, wo alles größer, lauter, bunter, halt irgendwie geiler, womöglich sogar leiwander ist. Daraus wurde nichts – warum, lässt sich aus seinen Texten recht einfach rekonstruieren (Promethazin, Likör, Frittiertes). Aber das ist herzlich wurscht. Denn Sebastian Meisinger gab nicht auf, sondern wurde Money Boy: ein Rapper wie in Amerika, wo alles ganz sicher more leiwand ist, wenn man Rapper ist oder Rap zumindest sehr gerne mag. Er erzählte von einem Lifestyle, der nicht seiner war, wie ein junger Basketballer, der in der Dorfturnhalle die Augen schließt und sich vorstellt, er wäre Michael Jordan, wenn er holprigen Schrittes zum Korbleger anläuft. Doch so wie der junge Basketballer wurde auch er täglich besser, und nach und nach füllte sich seine Rolle mit Leben. Jetzt ist Money Boy tatsächlich am Money maken. Nicht mit Swooshs und Alley Oops, wie einst geplant. Sondern mit einem nicht enden wollenden Strom an Mixtapes, YouTube-Videos, Features, Alben, Diskothekenauftritten und handbemalten Styroporkelchen, die man über seine Seite www.money-boy.at beziehen kann. Das reicht zum Leben. Und um zu sagen: Träumen lohnt sich noch.
Allein dafür muss man Money Boy mögen. Er hat trotzig an seinem Traum festgehalten und sein Ding gegen alle Widerstände durch- gezogen. Er hat nie versucht, sich an die Trends im boomenden Deutschrap anzubiedern; Von ihm gibt es keinen düster-dumpfen Gangsta Rap und keine verklemmte Befindlichkeitslyrik. Er rappt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, Gruppensex und Frauentausch, Edelgras und Billig-Rum, ganz allgemein das Druffsein, Chicken Wings und Waffles und Waffen und alles andere, was ihm eben Vergnügen bereitet. Dass er dabei mitunter etwas plump Tabus bricht („Heroin“, „Bitches unter 18“) – geschenkt. Money Boy ist auch ein aufmerksamkeitsökonomisches Experiment, regelmäßige Ausfälle gehören zum Konzept. Und wer auf der Suche nach einem Lebensratgeber für die ganze Familie ist, war mit Rap noch nie gut beraten.
Money Boys größter Trick ist, möglichst schamlos zu kopieren, was in den USA gerade angesagt ist, und sich damit immer weiter in sein eigenes Universum einzugraben. Das klingt wie ein Widerspruch. Aber wer einmal den Viralschlager „Müsli“ gehört, einen „Hood Report“ auf YouTube durchgestanden oder eines dieser sensationell wurschtigen Photoshop-Ungetüme auf Instagram entdeckt hat, weiß genau, was hier gespielt wird. So wie Money Boy ist keiner, und wer es doch probiert, muss zwangsläufig scheitern. Ging es darum nicht mal im HipHop?
Zur Welt des Boys gehört auch eine eigene Sprache mit ausgeklügelter Spezialorthographie und -grammatik. Wenn er zum Beispiel ein schickes Hemd kaufen geht, tut er 1 swaggy Shirt am coppen sein und ist damit allgemein mehr Moola am spenden als alle Haters zusammen. In diesem linguistischen Radikalliberalismus ähnelt er stark den vom Feuilleton gefeierten Azzlacks. Und so wie Haftbefehl macht auch Money Boy die stärkste Musik, seitdem er sich von allen Fesseln befreit hat. Auf dem ohnehin recht absurden Stück „Der Louis Store war zu“ gibt es zum Beispiel die schöne Zeile: „Der gottverdammte Louis V Store war closed, und ich dachte mir nur: Krah Krah Krah.“ In anderen Momenten lallt er durchs Autotune, man möge „bitte“ die Shisha reichen, gießt „Kola mit Ice“ in ein Schwimmbecken, verkleidet sich als Papproboter oder kontrastiert die in der Szene allgegenwärtige Homophobie mit Features seines Kumpels Juicy Gay und der „Duschkabinen Posse“. Das ist maximal erfunden und wahnsinnig ehrlich zugleich. Wahrscheinlich ist es Kunst. Zumindest aber ist es inspirierter als der allermeiste spaßbefreite Spießerkram, der Woche für Woche unter dem Deckmantel des „Deutschrap“ in die Charts gekauft wird.
Abzüge in der B-Note gibt es lediglich für die unnötige und irritierende Verwendung des N-Wortes. Wie viele Meta-Ebenen subkulturel- ler Neudeutung in dieser Causa mittlerweile vorliegen, ist unerheblich: Wenn sich Menschen rassistisch beleidigt fühlen, ist egal, wie wer was gemeint hat. Dieser Realität wird sich Money Boy stellen müssen, auch wenn sich seine künstlerische Identität sonst aus einer wun- dersam vollendeten Wirklichkeitsflucht speist.
Darin liegt der Kern all dieser steilen Thesen: Plädoyiert wird weniger für Sebastian Meisinger aus Wien, sondern vielmehr für die Kunst der Kunst. Dass HipHop seit 40 Jahren lebt und von ihm viele Leute, die sonst wohl ein Problem hätten im Leben, liegt eher an vermeintlich Wahnsinnigen wie Money Boy als an „Promophasen“ und der nächsten richtig deepen Single mit Tim Bendzko. Darauf einen Schluck Sizzurp. Oder ein lauwarmes Ingwerwasser. Jeder wie er halt mag – noch so eine Maxime von Sebastian Meisinger, der zu unser aller Glück nicht Profibasketballer geworden ist.
Kurze Money-Boy-Chronik:
2010: Money Boy veröffentlicht auf YouTube „Dreh den Swag auf“ . Das Video hat heute über 20 Millionen Klicks.
2013: „An diesem einen Tag am Rummelplatz“ ist schwer zu ertragen, aber markiert die endgültige Kehrtwende vom Kopisten zum Freigeist.
2014: Neben zahllosen Mixtapes und Freestyles erscheint auch Money Boys bisher bestes Album, HITUNES.