Rock im Revier, Tag 1: Heimliche Highlights im Blumenmeer
Ein Festival, das am Freitag in eine intensive Aufwärmphase geht, versucht dem Fussball-Stadion-Flair zu trotzen und startet bereits am ersten Abend mit einer der Festival-Bands schlechthin.
„Rock im Revier“ ist ein junges Festival. 2015 findet es zum ersten Mal statt. Als Geburtsort haben die Veranstalter die Veltins-Arena auf Schalke in Gelsenkirchen auserkoren. Im jungen Alter ist man häufig noch unerfahren. In einer Selbstfindungsphase versucht man sich über seine eigene Identität klar zu werden. So ähnlich geht auch diesem Festival. Alles ist neu und spannend und die einschlägige Richtung wird noch gesucht. Denn die Auswahl an Bands, die in Gelsenkirchen den Besuchern präsentiert werden, lässt keinen roten Faden vermuten – auf der Hauptbühne, der sogenannten „Big Stage“ spielen Hatebreed, gefolgt von kalifornischem Metal von Testament, die wiederum von Within Temptation abgelöst werden. Danach präsentieren sich Faith No More gewohnt ironisch, um die Bühne für Metallica zu räumen.
Die Band-Shirts, mit Bandlogos bestickte Jeans-Westen und Bier-trinkende Herren mittleren Alters lassen den Grund für die hohe Anzahl der Besucher mit Ein-Tages-Ticket wissen: Der erste Headliner des Festivals, Metallica, gibt sich die Ehre. Die restlichen Bands wirken nahezu wie das seichte Vorprogramm dieser Über-Band. Dennoch finden beispielsweise Within Temptation großen Anklang in der sich langsam füllenden Arena. Eine Band, die offenbar vor allem aufgrund der leicht bekleideten Sängerin nach wie vor zu funktionieren scheint. Mit großen Gesten, Flammenwerfern und wehenden Haaren bespielt die niederländische Kombo das blau-weiß geprägte Fussball-Stadion.
Mit Rock und Metal gegen das Fussball-Feeling
Fussball ist ohnehin ein gutes Stichwort. Die Begegnung mit der Schalke-Thematik ist unvermeidbar. Die Stadion-Atmosphäre raubt dem Event leider den Festival-Charakter. Man wünscht sich nahezu die torkelnden jungen Männer, die übermotivierten Gestalten in Kostümen oder den obligatorischen Slalom-Lauf durch die auf den Wiesen und Feldern liegenden Jugendlichen. Letzteres wäre in Gelsenkirchen nicht möglich, da sich das Wetter als echtes Festival-Wetter herausstellt – windig, regnerisch, kühl.
Zwei der insgesamt drei Bühnen liegen außerhalb der Arena und bieten ein Angebot für Liebhaber: …And You Will Know Us By The Trail Of Dead bauen auf der „Boom Stage“ im Gegenteil zum Sound auf den Platten eine Wand aus Lärm auf, müssen sich jedoch mit nur sehr wenigen Zuschauern begnügen. Aber es ist ja auch noch recht früh. Auf der „Bang Stage“ hingegen geben sich Stick To Your Guns, Deez Nuts und schließlich Eskimo Callboy die Klinke in die Hand. Letztere lassen ihre Show ähnlich wie Dir En Grey auf der „Boom Stage“ frühzeitig ausklingen, damit noch Zeit bleibt, um das große erste Highlight von „Rock im Revier“ zu bewundern: Metallica.
Hochgefühle bei Metallica, „Buh“-Rufe für Faith No More
Die ersten euphorischen Festival-Momente sind zu spüren, als eine beachtliche Menge von Fans die Bühne betritt und während des Auftritts von James Hetfield, Lars Ulrich & Co. dort verbleiben und die Band anfeuern darf. Die Stimmung kocht hoch als Metallica schließlich mit 20-minütiger Verspätung die Bühne betreten und sogleich mit „Fuel“ loslegen, nachdem die Show mit dem üblichen Western-Intro „Ecstasy Of Gold“ gestartet war. Es scheint, als wären alle 35.000 Besucher gekommen, um Metallica zu feiern, ihre Klassiker und auch einige fast vergessene Songs zu genießen.
Der Genuss hatte sich nämlich eine Stunde zuvor nur sehr verhalten geäußert. Vor einem zart im Ventilator-Wind wehenden schneeweißen Vorhang, in komplett weißen Outfits und einem Meer aus hübschen Blumen auf der Bühne hatten Faith No More dem ersten Festival-Tag das i-Tüpfelchen aufgesetzt. Mit einer großen Portion Ironie und Witz („Hello, we’re Santiano“) bot die Band um Mike Patton innerhalb dieser blumigen Szenerie, die vermutlich besser zu einer Helene Fischer oder Elton John gepasst hätte, eine abwechslungsreiche Performance. Experimentierfreude, die nur teilweise gewürdigt wurde, Pattons erhabene Mimik und Gestik und eine gute Mischung aus alten Tracks und neuen Werken des am 15. Mai 2015 erschienenen SOL INVICTUS machten den einstündigen Auftritt zum verkannten Highlight dieses Festival-Freitags.