Live in Berlin: Noel Gallagher’s High Flying Birds spielten am 16.03.2015 in der Max-Schmeling-Halle
Der große Bruder überschattet den kleinen um ein Zigfaches in Berlin. Da kann er sich sogar ein Lied über Lasagne erlauben.
Wer den Tourstart einer von Noel Gallagher angeführten Band nicht miterlebt und die Benutzung des Internets einigermaßen draufhat, der weiß, dass er sich von einem Konzert des 47-Jährigen viel erwarten kann, aber keine Überraschungen. Seit jeher legt Gallagher sich im frühen Stadium einer Tour auf eine Setlist fest und zieht die dann stramm durch, Stadt für Stadt. So auch in Berlin. Gallagher beginnt und beschließt den Abend mit je einer B-Seite: Der Glamrocker „Do The Damage“ gibt den (lauten) Ton an und „The Masterplan“ erinnert dann mal wieder daran, wie unantastbar Oasis von 1994 bis 1996 waren.
Von seiner ehemaligen Band spielt Gallagher neben „The Masterplan“ nur vier Stücke, allesamt in reduzierten Versionen: Da wird der unpolierte Rocker „Fade Away“ zum folkigen Schunkler, „Champagne Supernova“ kommt auch ohne seinen Bombast ganz gut aus und „Don’t Look Back In Anger“ verzichtet sogar auf sein „Imagine“-Intro. Danach versteht man ohnehin nicht mehr viel, die fußballstadionartigen Publikumsgesänge haben sich verselbstständigt und übertönen Gallagher. Hält man kurz inne und vergegenwärtigt sich die Nonsens-Lyrics dieses Songs, ist es schon unglaublich, wie viel Bedeutung er zulässt. Wie identitätsstiftend Musik, die eigentlich nichts bedeutet, sein kann. Bei annähernd jedem seiner Konzerte der vergangenen 20 Jahre wird Gallagher das textsicher bewiesen. Nur beim vorletzten Einsatz, dem dramatischen, letzten „I heard you say“, versagt die Menge traditionell, kommt immer zu früh.
Schwierig ist bei Gallagher seit jeher die Umsetzung seiner Musik in Bilder. Er, der Mann, der alle seine Videos hasst, spielt hier vor kitschigen Kamerafahrten über Meeresflächen und an Planeten vorbei, die man hinter seinen Rücken projiziert. Mit visueller Überwältigung war nun aber auch nicht zu rechnen, nachdem Gallagher immer wieder – zuletzt im ME-Interview – betont hatte: „Leute, wenn ihr zu meinen Konzerten kommt, erwartet nicht, irgendetwas zu sehen. Da gibt es keine Wahnsinnsbühnenshow, ich werde mich kaum bewegen…“. Nun, so lange er seine Lippen bewegt, soll einem das genügen.
Kurios ist die Wahl von „Digsy’s Dinner“, des ausgewiesenen „Throw-away“-Songs aus dem Oasis-Debüt. Scherzhaft kündigt Gallagher den Klamauk-Klassiker über ein Menü aus Lasagne und Erdbeeren mit Sahne zunächst an, spielt aber das rifflastige „The Mexican“ aus seinem neuen Album CHASING YESTERDAY. Zwei Songs später kommt’s dann tatsächlich: „Your friends will all go green for my lasagne“. Er hätte ja auch noch „Wonderwall“, „Whatever“, „Some Might Say“, „Live Forever“ etc. im Köcher gehabt. Aber nein, nix da. Heute gibt’s Lasagne und was auf den Tisch kommt, wird gegessen.
Interessant dabei nur, dass Gallagher auch Musik spielt, die ihm nicht so sehr am Herzen liegt. Die Leadsingle aus seinem aktuellen Album, „In The Heat Of The Moment“, etwa wird mit den Worten angekündigt, dass sei jetzt sein „least favorite“ Song der Platte. Woran das liegt? Die etwas nervige, etwas zu poppige „Nanananah-nana“-Melodie wird jedenfalls ausgespart, was dem Stück eine ganz neue Schärfe verleiht. Die neuen Songs, die er in Interviews wie pures Gold verkaufen wollte, „Ballad Of The Mighty I“ und „Riverman“, erzielen mit den geringsten Applaus. Wie nach Oasis-Songs wird geklatscht und gebrüllt bei den Liedern, die Oasis stilistisch am nächsten stehen: die Feel-Good-Klopfer „Lock All The Doors“ und „You Know We Can’t Go Back“. Über allem thront allerdings „The Death Of You And Me“, einer der besten Songs Gallaghers nach 1996. Bei all seinem Erwachsensein durchzogen von demselben jugendlichen Optimismus, der das frühe Schaffen von Oasis so unentbehrlich machte.
Wenn die zehntausend Menschen in dieser Halle sein neues Material derart begeistert mitsingen, zwingt ihn nichts zu einer Reunion seiner alten Band. Liam, dessen mittlerweile verschiedene Band Beady Eye bei ihrem letzten Berlin-Stopp ein maues, nicht ausverkauftes Club-Konzert spielte, dürfte bereuen, dass er 2009 in Paris diese fatale Pflaume auf Noel warf, was zum Split von Oasis führte. Wobei „Bereuen“ im Vokabular des mit grenzenlosem Selbstvertrauen ausgestatteten – und wenig belesenen – Liam vermutlich ohnehin nicht vorkommt.
Setlist:
- „Do The Damage“
- „(Stranded On) The Wrong Beach“
- „Everybody’s On The Run“
- „Fade Away“
- „In The Heat Of The Moment“
- „Lock All The Doors“
- „Riverman“
- „The Death Of You And Me“
- „You Know We Can’t Go Back“
- „Champagne Supernova“
- „Ballad Of The Mighty I“
- „Dream On“
- „The Dying Of The Light“
- „The Mexican“
- „AKA… Broken Arrow“
- „Digsy’s Dinner“
- „If I Had A Gun…“
- „Don’t Look Back In Anger“
- „AKA… What A Life!“
- „The Masterplan“