Pet Shop Boys: Die Diskografie
Das aktuelle ME-Dossier widmet sich dem Londoner Duo. Unser Autor Jochen Overbeck hat die komplette Pet-Shop-Boys-Diskografie rezensiert
Please (1986)
Musikalisch findet PLEASE über weite Strecken im Rahmen der Erwartungen statt. It’s Eighties-Pop mit heavy Disco-Schlagseite, dessen Produktion heute etwas anachronistisch anmutet und dessen Hauptunterschied zu Artverwandtem wie Bronski Beat vor allem darin steckt, dass Neil Tennant und Chris Lowe auch HipHop liebten. Das hört man nur bei „West End Girls“ und auch dort nur mit gutem Willen. Der Teufel steckt indes im Detail: Tennant, dank vorangegangener Autorentätigkeit für das britische Pop-Heftchen Smash Hits vertraut mit den Mechanismen britischer Unterhaltungskultur, verbindet entsprechende Seitenhiebe („Opportunies/ Let’s Make Lots Of Money) mit genauen Alltagsskizzierungen, die sich einiges vom Kitchen Sink Realism der 60er-Jahre holen. Bester Track: „Tonight Is Forever“, das unverständlicherweise nie als Single veröffentlicht wurde.
Actually (1987)
Breiter! Lauter! Allgemeingültiger! Froher? Nicht unbedingt, nachzuhören in der Thatcherism-Abrechnung „Kings Cross“, die die Platte angemessen beendet. Die Pet Shop Boys installieren sich mit ACTUALLY in so einer Art Comfort Zone, die vielleicht am besten an den Nuancen erkennbar ist, die den dem „Please“-Material gar nicht so unähnlichen Songs beigefügt wurden. Das bittere „What Have I Done To Deserve This“ ist eine Zusammenarbeit mit Dusty Springfield. In „It’s A Sin“ hört man Wortfetzen, Chöre und angeblich jemanden, der einen Kerzenhalter putzt. Dass nicht, wie ursprünglich geplant, Stock / Aitken / Waterman die Produktion übernahmen, ist vielleicht ganz gut. Höhepunkt: das pointierte „Rent“. Als Blaupause nahm Neil Tennant angeblich Gazebos Italo-Disco-Schnulze „I Like Chopin“.
Introspective (1988)
Das Pet-Shop-Boys-Album, das sich weltweit am besten verkaufte, ist gleichzeitig das, das dem klassischen Konzept einer Langspielplatte als in sich geschlossenes Kunstwerk am meisten widerspricht. Eher ist INTROSPECTIVE als eine nur in Sachen Produktion aufeinander abgestimmte Songsammlung zu betrachten, mit der die Pet Shop Boys ihre Kompetenz außerhalb gängiger Formate zeigen wollten. Bedeutet: sechs Songs zwischen zehn und neun Minuten, darunter Neuaufnahmen, Coverversionen und Coverversionen-Neuaufnahmen. Gemein ist den Stücken vor allem die Ansiedlung am Tanzboden: Im Prinzip klöppelt INTROSPECTIVE eine dreiviertel Stunde lang durch, was manchmal mühsam ist, etwa beim „Rap“-Part des verlängerten „Always on My Mind“, manchmal aber auch gut funktioniert, nachzuhören in der Coverversion des Blaze-Klassikers „It’s Alright“
Behaviour (1990)
Kaum eine Platte beginnt schöner. Ein, zwei Minuten lang ist da nur die Musik. Das Keyboard spielt die Melodie an, bevor Tennant von einer, von seiner Vergangenheit singt. Die Eindrücke sind verschwommen, weichgezeichnet, ein bisschen wie Bilder von David Hamilton. Im weiteren Verlauf wird aus der Rückschau eine Bestandsaufnahme der eigenen Sentimentalitäten, die muikalisch mehr Variationen erlaubt, als „Very“ das tat. In „To Face The Truth“ trifft Blue Eyed Soul auf Disco auf Croonersound, auf „My October Symphony“ gastiert das Balanescu Quartett, während auf der ersten Singleauskopplung „So Hard“ die Synthies brutalistisch hämmern. Übrigens entstand BEHAVIOUR zu großen Teilen in Deutschland: Giorgo-Moroder-Intimus Harold Faltermeyer fungierte als Co-Produzent.
Very (1993)
VERY stellt vielleicht den markantesten Bruch in der Geschichte des Duos dar. Dem fast bedächtigen Melo-Pop von BEHAVIOUR stellte die Band ein Album entgegen, dass ähnlich funktionierte wie sein quietschorangenes und in seiner CD-Variante genopptes Cover. Das ist nicht immer einfach, die Village-People-Coverversion „Go West“ etwa rutschte aufgrund ihrer fast schon obszönen Eingängigkeit aus der Smartness in ein Brachland irgendwo zwischen Fußball-Dschingerassabumm und Karneval. Die Rezeption von „Very“ sollte darunter freilich nicht allzu sehr leiden: Immerhin enthält das Album mit „Can You Forgive Her“ einen der wohl besten PSB-Songs überhaupt. Wurde oft als offizielles Coming-Out rezipiert, lässt sich aber auch als aufrichtige und auf alle sexuelle Welten übertragbare Notiz über den Umgang mit Geschlechterrollen begreifen.
Bilingual (1996)
Der erste Gedanke beim Wiederhören von BILINGUAL: Die Arrangements sind größer als die Songs. Die aus Südamerika eingeschleppte Vorliebe für Baterías und andere Perkussion geht mit Sounds von House- und Techno-Produzenten wie Danny Tenaglia oder K-Klass eine Beziehung ein, die dem Album eine Menge an Allgemeingültigkeit nimmt. Viel mehr als etwa BEHAVIOUR hört man, was damals in den Clubs lief, mit welchen Kniffen die Produzenten arbeiteten. Wo möchte „Electricity“ hin? Versteckt das gnadenlos übertriebene Ibiza-Arrangement von „Metamorphosis“ nicht die eigentlich wichtige Botschaft des Songs? Die andere Seite der Medaille: großartige Popsongs, vor allem „A Red Letter Day“ mit seinen „Go West“-Referenzen, das herrlich optimistische „Se a Vida é (That’s the Way Life Is)“ und „To Step Aside“. Trotzdem das durchwachsenste Allbum der Band.
Nightlife (1999)
Warum eigentlich wurde „New York City Boy“ meistens kritisch, vor allem aber oft als über-gay rezipiert? Wegen der Village-People-Schlagseite? Ein Blick in den Text, aber auch ins Video langt, um festzustellen, dass der von David Morales produzierte Song keinesfalls Partei ergreift. Gleichzeitig ist es der, der inhaltlich am meisten mit dem vom Titel kommunizierten Albumkonzept zu tun hat – Stücke wie „I Don’t Know What You Want But I Can’t Give It Anymore“ oder Radiophonic“ triggern eher Extremausschläge im Emotionsspektrum an, die ihre Ursprünge in Ausgehsituationen haben mögen, diese aber meistens nicht weiter thematisieren. Die musikalische Bandbreite des Albums ist immens: Faithless-Mann Rollo wirkte an der Platte ebenso mit wie Craig Armstrong. Auf der Fast-Country-Ballade „You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk“ spielt der große B.J. Cole die Pedal Steel, Kylie Minogue singt auf „In Denial“.
Release (2002)
Auf sieben Songs spielt Johnny Marr eine zum Teil ganz schön dengelige Gitarre, oft erinnern die Strukturen eher an herkömmlichen Pop der Spätneunziger als das, was man von den Pet Shop Boys bisher kannte – die Eleganz fehlt, und daran musste man sich erst einmal gewöhnen: „Release“ fiel seinerzeit bei der Kritik durch. Der „NME“ gab dem Album vier von zehn Punkten – und merkte an, die einzige Band, die es sich leisten dürfe wie unterdurchschnittliche Oasis zu klingen, seinen Oasis selbst. Eine Anspielung auf das vielleicht eine Spur zu baukastenhafte „I Get Along“. Dennoch: So schlecht ist „Release“ nicht. „Home And Dry“ ist ein melancholischer Popsong mit leichter New-Order-Kante, dem die erstaunlich unperfekte Produktion gut tut, „Birthday Boy“ breitestmöglich aufgestelltes Britpophymnentum. Mäßg witzig und musikalisch verunglückt: „The Night I Fall in Love“, das Eminem eine Affäre mit einem Schuljungen andichtet.
Fundamental (2006)
Das Tony-Blair-Bashing in „I’m With Stupid“ wirkt spätestens in der Rückschau etwas bemüht –so wie das gesamte Album ein Hauch von Ambivalenz umweht, was auch Trevor Horn zuzurechnen sein dürfte: Der vermied bei der Inszenierung der Songs jede Überraschung und übertrug den Klang der Band in nicht immer zündenden, aber oft viel zu dramatischen Pop, was seinen Höhepunkt im gnadenlos zugekleisterten „Numb“ findet. Stammt übrigens von Diane Warren, die unter anderem den Toni-Braxton-Heuler „Unbreak My Heart“ schrieb. An anderer Stelle wiederum wird abgeliefert: „Minimal“ ist für Horn-Verhältnisse kühl klöppelnder Pop, das breit angelegte „The Soddom And Gomorra Show“ durchaus reizvoll. Viel mehr bleibt aber nicht hängen.
Yes (2009)
Das späte Großwerk, illustriert von begnadetem Personal. Einmal ist da Owen Pallett (Final Fantasy), der einige durchaus an seine vorherigen Kunden, die Last Shadow Puppets, erinnernde Spitzen setzt und dabei – dezente – Unterstützung von Johnny Marr bekommt. Vor allem aber arbeiteten Tennant und Lowe mit Xenomania zusammen. Ein Thinktank, der keine Angst vor Eingängigkeit hat, was den in Interviews kontemporären Pop stets verschnupft abhandelnden Pet Shop Boys gut tat: Tennants nicht immer, aber meistens gewitzten Notizen zum Stand der Dinge wurden von dem britischen Schreiber- und Produzententeam etwas gestrafft. So knüpfen „All Over The World“, „Beautiful People“ oder „Pandemonium“ an die große Ära der Band, an Alben wie VERY oder BEHAVIOUR an.
Jochen Overbeck – 14.12.2010