Southside-Festival Tag drei: „Dein Herz schlägt schneller“
Mit Fünf Sterne Deluxe, The Wombats und Lily Allen gibt's am letzten Festivaltag eine wilde Mischung aus Deutschrap, Hüpf-Indie und Divenpop.
Zwei Halbwüchsige haben die Hoffnung auf Geschlechtsverkehr an diesem Wochenende bereits aufgegeben. Sie tragen Jägermeister-Hüte, Hawaiihemden und schwarze Socken, die an ihren blassen Beinen hinaufkriechen. Das Schild „Free Hugs“ wirkt wie ein Hilferuf. Sie pilgern zu Fünf Sterne Deluxe, die am frühen Nachmittag auf der Blue Stage spielen und deren letzte EP wohlgemerkt zehn Jahre zurückliegt.
Auf der Bühne ist eine Bar aufgebaut, davor stehen vier manngroße Boxen mit schwarzen Vorhängen. Es ertönt die Ansage „Greatest Superheros in the World“, die Vorhänge fallen und in den Boxen stehen Das Bo, Tobi Tobsen, Marcnesium und DJ Coolman wie erstarrte Actionfiguren. Wieder zum Leben erwacht fragt Das Bo: „Wer von euch ist vor 2014 geboren? Ihr wisst ja gar nicht, was euch erwartet.“ Fünf Sterne Deluxe haben 45 Minuten Zeit, um all diejenigen, die Deutschrap Ende der Neunziger verschlafen haben – oder da tatsächlich noch nicht geboren waren – von sich zu überzeugen. Sie spielen unter anderem „Champagneros“, „Ja, ja…Deine Mudder“, „Dein Herz schlägt schneller“ und ihren neuen Free-Download-Song „Die dicksten Eier“. Die Menge hüpft und reckt brav die Arme in die Höhe, wirkt aber nicht euphorisch. Irgendwann sagt Das Bo lachend: „Cool, dass ihr alle hier seid, läuft ja aber auch grad nichts anderes“. Zum Schluss machen Fünf Sterne Deluxe noch ein Erinnerungsfoto, bei dem alle der Bühne den Rücken zudrehen sollen, Hände gen Himmel. Man weiß ja nie, wann man wieder mal ein so großes Publikum wie dieses bespaßen darf.
Euphorischer geht es bei The Wombats zu. Jedoch hat sich die Hitze auf dem Gelände so angestaut, dass es sich anfühlt, als würde man durch Gelee waten. Während The Wombats mit „Kill The Director“ und „Let’s Dance To Joy Division“ ihre üblichen Festivalkracher raushauen, kann man im Publikum kreative Methoden der Flüssigkeitsaufbewahrung beobachten. Die wohl Bemerkenswerteste: ein Blasenkatheter. Hoffentlich ist das gelbliche Zeug da drinnen Bier. Gegen Ende verspricht Matthew Murphy die Veröffentlichung eines neuen Wombats-Album und stimmt die aktuelle Single „Your Body Is A Weapon“ an.
Wenig später bei den Pixies ist die Menge zu schwach zum Tanzen, weil die Sonne immer noch gefühlte zwei Meter über dem Platz kreist. Zum Glück eignen sich Klassiker wie „Hey“ und „Caribou“ sowieso mehr für langsame Bewegungen. Die einzigen heftigen Gefühlsausbrüche ereignen sich – wie zu erwarten war – gegen Ende bei „Where Is My Mind“. Direkt im Anschluss geht es weiter mit Interpol, die mit ihrem ernsthaften Post-Punk ein bisschen deplatziert wirken, in dieser Stätte des Hedonismus. Interpol sind eine Band, mit der man allein sein will, wenn man wütend auf die Welt ist. Und auch jetzt möchte man die ganzen Sonnenverbrannten mit ihren Tierplüschmützen am liebsten zum Teufel jagen, damit sie so schöne Lieder wie „Evil“ oder „Rest My Chemistry“ nicht mit ihrem lächerlichen Herumgetanze kaputt machen.
Dachte man bei Kraftklub noch, die blanken Brüste einiger Festivalbesucherinnen seien genug brachial zur Schau gestellte Weiblichkeit für heute, kommt Lily Allen mit einer Schar Tänzerinnen auf die Bühne, von denen die Southside-Kameras ausschließlich Hinterteile in knappen Shorts einfangen. Ob diese Show hier ironisch gemeint ist oder nicht, es wirkt befremdlich, wenn die Britin dazu singt „Don’t need to shake my ass for you ‚cause I’ve got a brain“. Sie selbst trägt einen engen roten Stiftrock und neongelbe High Heels, in denen sie kaum gehen kann. Während sie ihre Popsongs trällert, stolziert sie an überdimensionalen Plastik-Babyflaschen vorbei – ein Verweis darauf, dass Allen mittlerweile zweifache Mutter ist?!
Nach Lily Allen treten viele Besucher den Heimweg an und sogleich versuchen Kehrmaschinen, den Müllbergen Herr zu werden. Wer jetzt noch da ist, bekommt ein beklemmendes Gefühl, vergleichbar mit der Situation, der Letzte im Nachtclub zu sein – einer der verpasst hat zu gehen, als es am Schönsten war.