Southside 2013 – der Sonntag: ‚Get Loose, get loose!‘
Tom Meighan macht auf Star, Bloc Party verabschieden sich (möglicherweise), Alex Turner sieht nach Las Vegas aus – und die Editors übertrumpfen alle. Der Southside-Sonntag.
Der letzte Tag des diesjährigen Southside-Festivals bricht an, und auch dieser weist jene speziellen Eigenheiten auf, nach denen geübte Open-Air-Gänger das baldige Ende deutlich erkennen können: Wo sie auch hinsehen, baumeln notdürftig mit Panzer-Tape gefixte Handtaschen; die Schuhe des obligatorischen Chucks-Trägers sind mit Frischhalte-Folie gegen eindringende Feuchtigkeit versiegelt. Ein Papp-Schild mit der Aufschrift „total verspult“ liegt vergessen am Rasen und nimmt repräsentative Stellung in dem Last-Day-Blues-Szenario ein. Diejenigen, die es bereits vor die Bühnen geschafft haben, legen sich doch noch davor. Augenringe werden mit Sonnenbrille verdeckt. Völlig egal, dass der Himmel voll von anthrazitfarbener Wolken ist. So wird selbst der Boden der Red Stage, in der gerade Turbostaat deutschen Punkrock eindrucksvoll abreißen, zur Schlafstätte umfunktioniert. Dank des heute hervorragenden Line-Ups wird sich das aber recht bald ändern.
City And Colour lassen den Zuschauer zunächst einmal weiter träumen und sich mit ruhigen Songs einsingen. Vollkommen abwegig erscheint hier die Erkenntnis, dass mit Dallas Green derselbe Sänger, der gerade durch seinen Akustik-Katalog führt, derselbe ist, der auch Alexisonfire seine Gitarre und Stimme für harschen Hardcore lieh. Nun ja, er übernahm die weichen Gesangsparts, was es nur minimal weniger skurril macht.
Der eigentlich für maßlos aufgekratzte Auftritte bekannte Kele Okereke von Bloc Party ist bei seinem heutigen Auftritt wie ausgetauscht. Sein Lächeln ist schief, der Blick irgendwie wehleidig, wenn er den altbewährten Gossenhauer „Hunting For Witches“ anstimmt. Der Moment eines vermeintlich letzten Mals liegt in der Luft: Die Band will nach dem Festival-Sommer erst einmal getrennte Wege gehen. Der Drummer hat bereits das Handtuch geworfen und wird am heutigen Tag von Sara Jones, der Tour-Schlagzeugerin von Hot Chip ersetzt. Dank ironisch getragenem „Cats“-Musical-T-Shirts und ausladenden Kieferbewegungen beim Kaugummi-Kauen erkennen die Menschen aber doch noch die alte Energie hinter Kele. Unbeirrt feiert diese jeden Song, selbst der Teil von ihnen, der nur auf dem Weg zu den Vaccines vorbeischaut. Wenn es ein letztes Mal war, war es ein gebührendes.
Auf der White Stage wankt derweil Front-Sänger Justin Young über die Bühne, die E-Gitarre in großem Brit-Pop-Gestus zur Menge gerichtet. Dabei ist er mit seinem nahezu zarten Timbre mehr süßlicher Sunny Boy denn Retro-Rock-Macho als ihm lieb wäre; zu „No Hope“ wird zur flockig mitsingbaren Hymne der Band. In der Mitte des Zeltes tanzen zwei Mädchen etwas, das entfernt an den Ententanz erinnert. Dies wirft abrupt die Idee der Vaccines als Hochzeitsband auf. Wäre das ein Spaß.
Wenn Tom Smith von den Editors die Hände nicht gerade über die Seiten seiner Stromgitarre fahren lässt, faltet er sie wie zum Gebet zusammen und legt sie auf den Korpus des Instruments. Der Gurt fixiert die Gitarre so weit oben am Körper des Sängers, dass dies Problemlos möglich ist. Dennoch wirkt das nicht minder ernst, da die längeren Haare mit reichlich Gel in einen Dutt verbannt werden, die Augenbrauen mittig spitz zulaufen und eine scheinbar pulsierende Vene auf Smiths Stirn hervortritt, wenn er seinen angeraut hallenden Bariton vorträgt. Diese Linie zeichnet sich noch klarer ab, als sich beim Intro um „Sugar“ ein liturgischer Chor erhebt. Ein Mädchen mit knallroten Lippen und sonnenblumengelber Jacke tanzt für sich allein zu diesem Moment. Die metalartig rauschenden Riffs brennen dieses Bild für die Ewigkeit ins Gedächtnis. Es hätte von David Fincher inszeniert worden sein können.
Of Monsters And Men sind die buntgemischteste Truppe an diesem Tag, und das, obwohl der Auftritt von Deichkind noch bevor steht. Von dem Jeans-Jacke tragenden Country-Märchenonkel, dem seriösen Anzugträger, einem Bono-Verschnitt bis hin zum Biker-Drummer mit obligatorisch gefaltetem Kopftuch in der vom Wind zerzausten Matte – fehlt nichts. Am ehesten kann man sich letztes Exemplar besetzt in einer Film-Rolle neben Jack Black vorstellen. Weiterhin gibt es da die angedeutet Riot-mäßige Amazonen-Front-Frau mit grünen Strähnen im dunklen Haar und eine mal Trompete, mal Akkordeon spielende Streunerin. Bei ihrem Musik-Entwurf einigt sich die Truppe jedoch erstaunlicherweise auf eine recht stringente Folk-Linie.
„Hurricane, show me your fucking ass“. Bereits in der ersten Sekunde fallen hier zwei Dinge auf, die Irritationen hervorrufen können. Die Anzüglichkeit mal beiseite gelassen – sind wir hier immer noch beim Southside! Und so klar, wie das den anwesenden Besuchern ist, so schleierhaft ist dies Tom Meighan, Front-Front-Sänger von Kasabian. Der rückt von der Überzeugung, er wäre hier im Norden, noch nicht einmal ab, als die Versammelten ihm in Dauerschleife die zwei Silben „Southside“ entgegen brüllen. „I know, it has been a long weekend for you German Fuckers”. Großer Gott, ist der Typ blau. Der Unterhaltungswert kann hier dennoch nicht abgesprochen werden. Als vorletzter Act der Green Stage bietet sich für das Publikum die Möglichkeit noch einmal richtig loszulassen, was bei der Aufforderung „Get loose, get loose“ – beheimatet in dem Titel „Vlad the Impaler“ – nur allzu leicht fällt. Erst nach 50 Minuten kommt die Erleuchtung. Die Band spielt hier auf Southside. Die späte Erkenntnis ist Meighan offenbar unsäglich peinlich. Fortan geht er mit dem Publikum auf Kuschelkurs und rumpelt mit wohl noch höherem Pegel und glasigen Augen unbeholfen über die Bühne.
Deichkind werfen ihr Spielzeug – bestehend aus Wasserbällen, Schlauchboten und Badetieren – vorab in die Menge, damit diese beschäftigt ist. Wie hübsch die Leute dann rumspringen, wenn Deichkind bekleidet mit ihrer geliebten Mülltüten-Neon-Kluft und den Pyramiden auf dem Kopf oft synchron zu „Luftbahn“ oder „Arbeit nervt“ die Animateure mimen. Nur die wenigsten werden hier nicht zum Spielkind. Gleich zu Beginn setzt sich ein Bandmitglied ins Boot und schippert über die Köpfe der Menge. Leider kommt er aber nicht weit, das hat definitiv schon einmal besser geklappt. Vielleicht werden die Anwesenden etwas kirre von dem Übermaß an Neon-Farben. Wer weiß.
Links daneben schließen die Arctic Monkeys die Green Stage für dieses Jahr. In Gesangspausen von Alex Turner gibt es immer wieder Fetzen aus „Leider Geil“ zu hören. Weit größeres Irritationspotential bieten allerdings die funkelnden Nadelstreifen von Turners Sakko. Es ist wohl Teil des neuen Images, das die Briten seit „Humbug“ immer weiter ausbauen, um sich auf dem Feld des Stoner Rock austoben zu können. Genau wie auf „Suck It And See“ rudert die Band aber auch bei ihrem Auftritt immer wieder in Richtung aufgedrehten Britpops zurück. Mit den heiß begehrten Exemplaren um „Brianstorm“, „I Bet You Get Look Good On The Dancefloor” oder “Teddy Picker” beispielsweise. Fast abwechselnd schlüpft Turner mit düster verrauchter Stimme dann wieder in die Rolle des Black-Sabbath-Verehrers. Und auch wenn das Outfit Panne ist, ist es genau dieser Spagat zwischen den Genres, die den Auftritt zu einem saftigen Potpourri aus Freak-Outs und nostalgischen Singalongs hochköcheln lassen.
Mit den letzten Acts sind die Leute wieder hellwach. Es verspricht noch eine verdammt lange Nacht zu werden. Der Vollmond über dem Gelände würde sowieso zu Schlaflosigkeit führen.