Southside, Tag 2: Rammstein ballern Portishead weg


Der Southside-Samstag: LED-Stakkato mit Portishead, endlich da: Tame Impala. Und Tinnitus-Alarm dank Rammstein.

Im Gegensatz zu gestern bietet der Samstag für die Besucher so einige Entspannungsmomente und dramatische Überschneidungen bleiben aus – oder anders gesagt: Das Line-Up am Nachmittag war schlechter. Obwohl, so schlimm war es eigentlich gar nicht. Shout Out Louds, The National, Prinz Pi, Tyler, The Creator und Tame Impala hätten es vermutlich bei den meisten anderen Festivals ins Abendprogramm geschaftt. Die Shout Out Louds bringen immerhin die aus Schweden mitgebrachten Fans dazu, ihre mitgebrachten schwedischen Fahnen zu schwenken. Aber irgendwie ist es leider noch zu heiß und zu hell, um die Stimmung der Songs aufnehmen und genießen zu können.

Die Nachfolger erweisen sich bei diesem Festival als regelrecht vom Pech verfolgt. Gestern musste ihr Auftritt auf dem Hurricane wegen „Transportschwierigkeiten“ gecancelt werden, heute fällt nachmittags auf der Green Stage kurzzeitig die Soundanlage aus. Wenigstens sind sie überhaupt da. Und auch hier wieder, einfach zu hell für so tiefschürfendes Liedgut. Wenigstens zu „Elephant“ schiebt sich eine schwere Wolke vor die grelle Sonne.

So manchem Besucher ist der Zuckerwatten-Pop, den Tegan & Sara heutzutage praktizieren, eindeutig zu pappig. Irgendwie zieht es uns aber doch vor die Bühne. Bei „Walking With A Ghost“ schnalzt die androgynere Stimme Saras von der Bühne, und sogar ein Billy-Talent-Shirt tragender Muskelprotz hüpft glücklich mit. Seine Kumpels stehen bedröppelt daneben.

Friska Viljor, die im weißen Kapitäns-Kostüm die Besucher der White Stage rannehmen, lassen das Publikum dann erstmals ausrasten, was später die dritte Schweden-Band The Hives wiederholt. Richtig gelesen, The Hives sind auch mal wieder da. Die Blue Stage verkommt mittlerweile schon zum zweiten Wohnzimmer der Band, was die meisten nicht davon abhält, sich Pelle Almqvist prollige Jim Carey-Rampensau-Attitüde zu geben.  Die ist ebenso nervtötend wie ansteckend. Booker großer Festivals wissen ihre Besucher eben einfach in sicheren Händen, wenn The Hives ein Best-Of aus ihrem Spaß-Indie-Repertoire hervorholen.

Bier hilft da aber – das wird sich auch Matt Berninger von The National gedacht haben, der im Anschluss betont unbeeindruckt vom begeisterten Publikum auf die Bühne schlendert. Zuerst trinkt er eigentlich auch nur Bier und singt ab und zu. Kurz vor Sonnenuntergang konnte aber auch er sich nicht der ausgelassenen Stimmung in Neuhausen ob Eck entziehen. Schräg von rechts werden Band und Publikum von warmem Sonnenlicht gestreichelt, was optimal zu den Visuals passt, die unaufdringlich im Bühnenhintergrund funkeln. Die häufigen Ausflüge der Band ins neue Album „Trouble Will Find Me“ nehmen viele Zuschauer zum Anlass, sich, wenn nicht gutgelaunt vor der Bühne, dann eben mit einem Bierchen neben selbige zu platzieren und in The-National-Stimmung zu versinken. Am Ende packt es Berninger  dann tatsächlich noch. Er klettert über den Wellenbrecher. Das entspanntes Publikum harmoniert mit der entspannten ländlichen Location und den entspannten National-Hymnen so sehr, dass man sich mitunter an Heimatmusik-Harmonie erinnert fühlte.

Krawall-Musik für Cap-Träger wurde derweil nebenan gespielt. Tyler, The Creator, der so herrlich selbstironisch seine Texte rappt, die zumeist irgendetwas mit „Bitches“ zu tun haben, tat der Stimmung auf dem zuvor schon fast unangenehm idyllischen Knutsch-Festivalgelände überraschend gut.

Zu einem recht raren Erlebnis kommt der Besucher vor der Green Stage dann um 22:10 Uhr: Portishead treten auf. Zum Intro von „Silence“, zuckelt das altbekannt schlichte, türkisfarbene „P“ vom LED-Panel. Dann flackern die Visuals im Stakkato-Takt. Inmitten des ganzen steht Beth Gibbons und umschließt das Mikro mit ihren Händen, als könne sie sich nicht aus eigener Kraft halten. Ihre Augen sind geschlossen. Zwischen ihren Parts taumelt sie zum Drummer, um danach wieder in die immer gleiche Ausgangsposition zurückzukehren. Mit dem Publikum spricht sie kaum. „Eine ganz Extrovertierte ist das“, kommentiert ein Mädchen nahe der Bühne und lacht. Dann geht nebenan unhöflicherweise ein Feuerwerk hoch. Rammstein sind da, sie knallen die intensive Stimmung auf der Blue Stage mit Ihrer Pyrotechnik einfach weg.

Lindemann selbst trieft nur so vor Kunstblut und Dreck und hat sich bereits vorab sein teutonisches „R“ geschmeidig gerollt. Die Einlagen mit Flammenwerfer, Feuerschlucker inklusive Feuerschutzanzügen und der Geruch nach Verbranntem haben sich längst ins kollektive Gedächtnis der Nation eingebrannt. Überraschungseffekte gibt es bei den Pyrotechnik-Süchtlingen kaum noch, auch wenn Lindemann, als blutiger Metzger verkleidet, sein Schlachtermesser wetzt und in einem überdimensionalen Kochtopf versucht, den Keyboarder Flake Lorenz abzufackeln. Der sieht mal wieder aus wie eine Alien-Tunte. Dennoch wird bald der Großteil der Zuschauer vor der Bühne versammelt sein. Immerhin ist es bei dem fiesen Wind, der jetzt aufkommt, dank der Flammen schön warm, auch in den hinteren Rängen. Fernab vom Festival-Gelände, bei den Nicht-Karten-Besitzern, kommt die Hitze nicht mehr an. Sie haben sich in Decken eingewickelt  und auf die umliegenden Wiesen gesetzt. Selbst hier kann man Rammstein noch knattern und knallen hören, in angenehmer Lautstärke – oder eben so angenehm, wie es bei Rammstein-Musik geht.