Donnerstag am Kiosk: ME – mit Buch: die Platten des Monats 1990-2009!


Der neuen Musikexpress-Ausgabe ist ein Buch beigelegt – die ME-Bibliothek / Band 1. Die Platten des Monats 1990 bis 2009. Hier schon vorab: die Platte des Monats im Oktober 1992 - Screaming Trees und "Sweet Oblivion".

Ab Donnerstag am Kiosk: der neue ME – mit Buch: die Platten des Monats 1990-2009. „Solange es die Kritik gibt, wird es auch Kritik an der Kritik geben. Dieses Buch ist für den gedacht, der Spaß an beidem hat“, schreibt ME-Redakteur Albert Koch im Vorwort zu unserem Band 1 mit den gesammelten Rezensionen zu den „Platten des Monats“ von 1990 bis 2009.

Tatsächlich dürfte das Stöbern in den 240 Kritiken aus heutiger Sicht mal mehr für Überraschung sorgen (Platte des Monats Mai 1995: Bush mit „Sixteen Stone“), mal für zustimmendes Kopfnicken (März 2008: Vampire Weekend mit „Vampire Weekend“).

Es wird bald natürlich ein zweiter Band mit weiteren jahrgängen nachgelegt – dazu in Kürze mehr.

Hier stellen wir die „Platte des Monats“ im Oktober 1992 vor:

Screaming Trees – Sweet Oblivion (Sony Music)

Zähflüssig wie Lava, mit dem rauen Charme erdverbundener Provinz-Cowboys: das sechste Album der Screaming Trees.

Trotz geographischer Nähe zu Seattle von Nirvanas Erfolgs-Sog unabhängig: Zurecht kann man die Screaming Trees als Klassiker des lärmenden Grunge-Rock bezeichnen, immerhin hat das Quartett seit 1986 umfangreiche Pionierarbeit geleistet. Bereits sechs Alben und drei EPs gehen auf das Konto des Quartetts aus dem nordwest-amerikanischen Provinzkaff Ellensburg. Trotz wachsender Umgänglichkeit ihrer Musik — instrumentale Härte kopuliert zunehmend mit melodischer Substanz — ist es ihnen mit SWEET OBLIVION gelungen, den Abrutsch in den von Indie-Fans zu Recht verschmähten Heavy-Mainstream sorgfältig zu vermeiden. Allein die rauen Gitarrensounds sprechen Bände, zu tief sind die Screaming Trees jener Psychedelic-Garagen-Tradition verbunden, die Seattle kürzlich ins Rampenlicht der Rock-Welt stieß. Die Poser-Schmiede L.A ist immer noch weit, der Perfektionismus des Vorgängeralbums UNCLE ANESTHESIA ist erneut ruppiger Beseeltheit gewichen.

Komplimente gebühren an dieser Stelle dem Produzenten und Techniker — Teenage Fanclubs Don Fleming (Ex-Dinosaur jr.) und Nirvanas Andy Wallace sind für naturalistischen Hardrock offensichtlich die richtige Wahl. Weder überflüssige Studio-Spielereien noch nervige Effekthaschereien verwässern den unpolierten, derben Charme der Trees. Beispielhaft ist Gary Lee Conners naturbelassene, live im Studio ein- gespeiste Saitenarbeit für „Julie Paradise“ — pure Energie.

Ausnahmen bestätigen bestenfalls die Regel: Die erste Single-Auskopplung „Nearly Lost You“ und das mit akustischer Western-Gitarre verträumt untermalte „Dollar Bill“ orientieren sich ungewohnt nah an radiotauglichem bis hitverdächtigem „Seattle Light“ . Zwar ist damit bewiesen, dass Mark Lanegans rauchiges Organ im weitesten Sinne balladentauglich, bei schweren Krachern wie „Shadow“ und dem vage psychedelischen „For Celebrations Past“ jedoch weitaus besser aufgehoben ist.
Uwe Schleifenbaum