Tusind tak! Das war das Roskilde


Michael Schütz war am vergangenen Wochenende auf dem größten Festival Dänemarks - das auch hierzulande Kultstatus genießt. Hier sein Nachbericht vom Roskilde 2011.

Kaum ist man zuhause und halbwegs ausgeschlafen, ruft der erste Kollege einer großen Berliner Tageszeitung an: „Sage mal, du warst doch auf dem Roskilde. Hast du was von dem Unfall oder Selbstmord mitgekommen?“ Das Rätselraten um den Tod einer 35jährigen Frau aus dem Berliner Umland, die nackt von einem Turm auf dem Campingplatz gefallen oder gesprungen ist, scheint also die Schlagzeile zu sein, die sich am schnellsten verbreitet. Dieser Vorfall, der momentan noch untersucht wird, ist natürlich tragisch – traurig wäre es jedoch ebenso, wenn er ein sonst an allen Ecken und Enden gelungenes Festival völlig überschatten würde. 

>>>> Hier geht’s zum Flickr-Stream des Roskilde 2011

Lassen wir also das Drama aus diesem Nachbericht zunächst heraus. Und machen mal ganz unverhohlen Werbung, in dem wir sagen, dass man ein Festival wie dieses in Deutschland nicht zu sehen bekommt. Dabei hat man sich nicht von der Schönheit und Freizügigkeit der Däninen überzeugen lassen, auch nicht unbedingt vom launischen Regen-Sonne-Gewitter-Sonne-Regen-Wetter und auch nur begrenzt vom Line-up in diesem Jahr – bei dem vielen zwischen den Strokes, Arctic Monkeys, Iron Maiden, Deadmau5 und Kings Of Leon, die großen Namen unter den Headlinern fehlten. Nein, dieses seit 1971 bestehende Festival hat noch das, was man heutzutage oft lautstark vermisst: ein gewisses Flair, eine festivaleigene Atmosphäre, einen – man verzeihe das Hippie-Wort – speziellen Vibe. Man hat eben nicht das Gefühl hier wird der „Wer hat den größten (Act)?“-Schwanzvergleich der Großfestival-Booker auf Bühnen gebracht, sondern man wähnt sich in einer Feierlichkeit, die (fast) jedem am Herzen zu liegen scheint – sogar den Gästen, die teuer Geld für ein Ticket bezahlt haben. Wobei: Es ist natürlich in den meisten Fällen unfair, andere Veranstaltungen mit dem Roskilde zu vergleichen – immerhin gibt es das bereits seit 1971, was viel zur feierlichen Grundstimmung beiträgt. Aber entscheidender ist vielleicht die Tatsache, dass die Einnahmen des Roskilde gespendet werden und fast alle Beteiligten als Freiwillige arbeiten. In Zahlen: Auf – laut Veranstalter 75.000 Gäste – kommen 25.000 Volunteers. Und das sind meist schmucke, junge Däninen und Dänen, die für ihre Aufgaben im Vorfeld geschult werden, um dann Bändchen zu kontrollieren, Trinkwasser zu reichen, oder auch Pfand zu sammeln. Gerade die Tatsache, dass auch die Kontrollen von Volunteers durchgeführt werden, trägt zur hippiesken Peae-Stimmung bei – denn hier wird man nicht aus breiten Schultern angeknurrt, sondern unsicher lächelnd oder freundlich grinsend kontrolliert. Gibt’s Schwierigkeiten, ist jedoch auch immer ein Profi in der Nähe.

Soviel zum Grundwissen. Nun das Insiderwissen, vermittelt beim Weintrinken mit dänischen Studentinnen: Die Musikjournos machen es völlig falsch, wenn sie nur zu den Konzerten anreisen. Man kommt gefälligst schon am Samstag und findet es dann eher traurig, wenn die Musik beginnt und die finale Phase des Roskilde anfängt. Bis dahin beginnt der Tag mit frühmorgendlichem Trinksport sowie allerlei Campingplatzaktivitäten. Das privat organisierte Nacktboxen soll in diesem Jahr ein Knaller gewesen sein. Musikalisch gibt es handverlesene Acts, die auf der Pavilion Junior-Stage spielen und zumeist aus Dänemark stammen. Aus-Checken sollte man als Leser einer Indie-Elektronik-Postille: Reptile & Retard, Bottled In England und Battlekat. Außerdem sollte man einmal in seinem Leben die Mixed Showers auf dem Campingplatz besuchen. Da gibt’s kaltes Wasser auf die Haut – für Männlein und Weiblein im gleichen Raume. Aber das Hippie-Flair hält nur bedingt, was man erwartet: Beide Geschlechter bedecken sich meist mit Badehosen und Bikinis.

Aber nun zur Musik: Die gab’s ja auch. Und zwar in einer Fülle, die es schwer macht, sie in einer Online-Nachlese wiederzugeben. Das geht dann eigentlich nur im atemlosen Runterramentern. Aaaaaalso: Am Donnerstag eröffneten die Lokalhelden Veto mit eigentlich gut gemachtem, aber charismafrei vorgetragenem Elektro-Düster-Pop die Hauptbühne – was dann aber gut zum grauen Himmel passte, der nach Tagen der Sonne das Ruder übernommen hatte. Die dänische Pop-Hoffnung Oh Land („Son Of A Gun“ pfeift man ja sicher bereits in der Dusche) brachte das riesige Cosmopol-Zelt zum Platzen. Iron Maiden spulten auf der Main Stage ihre Metalhits runter – und PJ Harvey verzauberte alle Anwesenden bei ihrem Konzert im Arena-Zelt, das trotz einer Zuschauerzahl von ca. 17.000 eine intime Angelegenheit war. „Let England Shake“ sei Dank…

Den Freitag versüßte man(n) sich mit dem Anblick von Sharin Foo, der Sängerin der Raveonettes, die mit Bandmate Sune Rose Wagner zur Jesus & Mary Chain Gedächtnis-Stunden aufrief. Wer es an dem Abend elektronisch brauchte, konnte sich von DJ Koze formidabel beschallen lassen – oder aber man ließ sich von Portishead die Schläfen massieren, um dann von M.I.A. Dresche auf die Pobacken zu bekommen. Zum Nachtausklang empfahlen sich WhoMadeWho – die ebenfalls ein Heimspiel hatten.

Der Samstag stand dann ganz im Zeichen der Tierwelt. Der Nachmittag war in der Hand der Wolf Gang um Tyler, The Creator. Ein irrer Gig, der zwar musikalisch manchmal Energie vor Handwerk setzte, aber durch den Witz und der Energie der Odd Future Wolf Gang Kill Them All-Truppe geradezu denkwürdig wurde. Das Zelt platzte dabei aus allen Nähten, alle skandierten „Wolf Gang!“ bis sie heiser waren und Tyler amüsierte mit seiner Performance, die er im Rollstuhl absolvierte. Auch sein Kommunikation mit dem Publikum war sehr unterhaltsam. Mal ließ er die Kiddies in der ersten Reihe den „alten Säcken hinten“ den Finger zeigen, dann sagt er beim Anblick von für ihn geflashte Brüste. „Iiiihhh, boobs! That’s sick.“ Das Highligt dann, als Tyler zwei als Löwen verkleidete Fans auf die Bühne hohlte, die moschten und ihn dabei über die Bühne schoben. Trotzdem: Die Kinder durften nur spielen, so lange sie sich benahmen. Als die Gangmitglieder zum Stagediven ansetzten, drehten ihnen die Veranstalter stumpf den Saft aus – und würgten „Radicals“ noch mittem im ersten Refrain ab. Besser wurde es an diesem Tag nicht mehr. Nur fast, als die Strokes, präzise und in der richtigen Lautstärke den Headliner gaben. Ach ja: Ballertechno kam ja auch noch – diesmal von einer Maus geliefert. Was ist da eigentlich  passiert, dass Deadmau5 mit seiner Maske inzwischen locker eine 50.000er-Crowd  hypnotisieren kann? Und wie zum Henker konnte er sich die Visuals dazu leisten? Und mit was hat er seine Bässe gedopt?

Der Sonntag schleppte sich dann ehrlich gesagt musikalisch ein wenig dahin. Die Kings Of Leon souverän, My Chemical Romance zu laut, Bad Religion wie immer – und die Battles mit Schmiss.

Tja – und jetzt sitzt man hier wieder im normalen Leben. Und bestellt vielleicht schon mal die Karten für das nächste Jahr…

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.