Konzert-Hattrick: So gut war’s bei Wanda in Berlin
Drei umjubelte Shows in einer viel zu kleinen Location: Wer Wanda im Berliner Badehaus erleben durfte, hat eine Band vor ihrem Durchbruch gesehen.
Liebe Checker und Auskenner, Tastemaker und Early Adopter, ihr müsst jetzt sehr stark sein! Die kleine Wiener Indie-Band Wanda wird euch nämlich entrissen. Aber mei: Sie hat euch ja sowieso nicht lange allein gehört.
Es ist kein Jahr her, dass sich der beispiellose Aufstieg der fünf Österreicher im April 2014 mit dem Song „Schickt mir die Post“ angekündigt hat. Zwei weitere Singles („Auseinandergehen ist schwer“ und „Bologna“) und ein Album (AMORE) später, lag ihnen schon der deutschsprachige Raum zu Füßen.
Dass es so schnell bergauf gehen würde, hatte sich nicht einmal das Management der Band erträumen lassen. Auf Tour wurden Wanda quasi vom eigenen Erfolg überholt. Da waren die viel zu kleinen Clubs in Deutschland längst gebucht. Aber wer konnte ahnen, dass eine Band, die mit Wiener Zungenschlag singt, auch im hohen Norden so dermaßen einschlagen würde? Das Berliner Badehaus Szimpla, das etwa 300 Zuschauer fasst, war im Nu ausverkauft. Ein Zusatztermin wurde anberaumt, dann noch einer. Wer Karten dafür ergattern wollte, musste schnell sein. Selbst Journalisten, die für große Tageszeitungen über die Konzerte berichten wollten, kamen nur noch mit Müh und Not auf die Gästeliste. Kein Wunder, dass sich beim letzten der drei Berlin-Konzerte Booker und A&Rs der Majorlabels im Publikum tummeln, um die Band der Stunde zu sehen.
Marco Michael Wanda kommandiert das Badehaus Szimpla vom ersten Moment an
Schon vor dem Auftritt ist die Stimmung aufgeheizt. Die Leute stehen dicht gedrängt. Weiter als bis zur Mitte des Raums kann man nicht vordringen ohne böse Blicke zu ernten. Wer sich um 19.45 Uhr noch um ein Getränk im Nebenraum anstellt, verpasst, wie fünf junge Männer im Landstreicher-Look auf die Bühne schleichen und zu ihren Instrumenten greifen.
„Luzia“ heißt der erste Song. Holterdiepolter. Rein ins Vergnügen. Sänger Marco Michael Wanda kommandiert den Raum vom ersten Moment an. Den Mikrofonständer hat er mit beiden Händen fest im Griff. In der Rechten raucht die Zigarette, hinterm Ohr klemmt der Reserve-Tschick. Wanda trägt sein bewährtes Indiana-Jones-Outfit: Khaki-Hosen, dazu eine Raulederjacke, derer er sich aber bald entledigt. Das Hemd wird aufgeknöpft, darunter kommt ein magerer Oberkörper zum Vorschein. Wie ein zerrupfter, hagerer Ralph Fiennes sieht Wanda aus. Er singt mit viel Hall in der Schleifpapier-Stimme, die live noch viel ruppiger klingt. Die Band ist gut eingespielt. Sie entlockt den Liedern einen Swing, der auf Platte nicht zu hören ist: Gitarrist Manuel Christoph Poppe stellt sein Instrument an den richtigen Stellen in den Vordergrund und lässt Christian Hummers Keyboard viel Raum. Der Bass von Ray Weber pupst munter auf und ab wie eine Tuba.
Auf „Luzia“ folgt „Kairo Downtown“, dann ein neuer Song: „Das wär schön“. Er beginnt mit einer Akkordfolge, die man schon 1000 Mal so ähnlich gehört hat – bei „Sweet Jane“ und „Es lebe der Sport“ zum Beispiel –, ist aber trotzdem super. Wanda erfinden den Rock ’N’ Roll nicht neu. Sie variieren lediglich bestehende Rezepturen, um daraus neue Hits zu schaffen. Die Noel-Gallagher-Schule des Songwritings. Marco Michael Wanda spricht von Kinderliedern: Sie sollen so simpel sein, dass jeder sofort mitsingen kann. Und das gelingt: Das bislang ebenfalls unveröffentlichte „Meine beiden Schwestern“ wird schon beim dritten Refrain brav vom Publikum mitgegrölt. „1, 2, 3, 4“ bewegt sich dann aber doch hart an der Schmerzgrenze zur Sesamstraße: „Ans, zwa, drei, vier, es ist so schön bei dir“. Das ist kein Refrain, sondern ein Zählreim. 300 deutsche Münder beten ihn ungelenk nach: „Ahns, zwai, drai, vier…“. Berliner, die Wienerisch reden. So funktioniert Völkerverständigung.
Zwischen den Liedern wird es emotional. Wanda lässt eine Tequila-Flasche durchs Publikum gehen. Immer wieder fällt er seinen Mitmusikern in die Arme. Drückt ihnen ein Bussi auf die Wange. Flüstert ihnen kleine Geheimnisse ins Ohr. Wenn die anderen spielen, und er selbst gerade nichts zu singen hat, begattet er die Luft mit rhythmischen Lendenstößen oder führt einen Schamanentanz um ein unsichtbares Lagerfeuer auf – so wie weiland der von ihm verehrte Jim Morrison.
Anders als bei den Kollegen von Bilderbuch werden diese Posen ohne ironischen Bruch dargeboten. Man kann diese beiden Bands durchaus als Gegenpole sehen oder – wie Kollege Rehm es gerne tut – mit Blur und Oasis vergleichen: Die einen sind clevere Bildungsbürschchen mit einem geradezu akademischen Zugang zur Popmusik, die anderen eine Bauchband mit Arbeiterklasse-Charme. Bei Wanda wird nichts zerdacht, nicht hinterfragt. Sie zelebrieren das Ursprüngliche und Rohe – und haben damit anscheinend einen Nerv getroffen. Vom Hornbrillenträger bis zum Toten-Hosen-Fan erreicht diese Band gerade jeden.
Wanda live in Berlin: noch einmal „Luzia“, noch einmal „Bologna“
Nach „Schickt mir die Post“ und „Auseinandergehen ist schwer“ brodelt der Saal. Es folgt der Überhit: „Wenn jemand fragt, wofür ihr steht, was sagt ihr dann?“, fragt Wanda, bevor die Band „Bologna“ anstimmt. In den vorderen Reihen reißen fünf Fans T-Shirts hoch. Darauf steht jeweils ein Buchstabe: A. M. O. R. E.
Am Ende ist fast jeder Hit gespielt. Das Publikum will mehr. „Wir verstoßen jetzt gegen alle Regeln des Musikbusiness“, sagt Wanda und lässt seine Band noch zwei Zugaben spielen: noch einmal „Luzia“, noch einmal „Bologna“. Danach ist wirklich Schluss. Wanda verbeugen sich. Im Badehaus Szimpla baden sie im Applaus.
Später sitzen die Bandmitglieder am Eingang und signieren CDs und Platten. Auf manchen unterschreiben sie statt mit ihren eigenen Namen mit John Lennon oder Rainhard Fendrich. Ein Fan bittet um Ausgehtipps in Wien. Marco empfiehlt ihm sein geliebtes Leopoldistüberl im Zweiten Bezirk. Wanda sind eine Band zum Anfassen. Noch. Ab jetzt wird diese Band nur noch größer. Besser als in diesem Moment kann sie aber kaum werden.