Kraftwerk im Museum, Tag 4: „DIE MENSCH-MASCHINE“ kommt in Bewegung
Bei der Albumretrospektive in der Neuen Nationalgalerie Berlin stand am Freitag DIE MENSCH-MASCHINE im Mittelpunkt.
Auf nicht allzu großen Widerspruch wird stoßen, wer behauptet, dass Kraftwerk mit jedem Album seit AUTOBAHN einen gewaltigen Entwicklungsschritt getan haben. Wobei TRANS-EUROPA EXPRESS eine Sonderstellung zukommt: als Ausgangspunkt des Techno Pop, mit dem der Name Kraftwerk seither assoziiert wird. DIE MENSCH-MASCHINE aus dem Jahr 1978 hat das Techno-Pop-Konzept des Vorgängers verfeinert, reduziert und poppiger gemacht. Das Album, das am Freitag, dem 9. Januar 2015, im Mittelpunkt des vierten Abends der 3-D-Konzertreihe „Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin stand, brachte zudem die Kraftwerk-Topoi in konzentrierter Form: Mensch und Maschine, die Faszination für Technik und urbanes Leben und die Sehnsucht nach menschlichem Miteinander.
Die 3-D-Visualisierung am Ende von „Spacelab“, bei dem ein Raumlabor, das wie in Ufo aussieht, direkt vor der Neuen Nationalgalerie landet, bekommt wie schon an den Tagen vorher frenetischen Beifall. Überhaupt scheint das Publikum euphorisierter zu sein als an den Tagen zuvor – Die MENSCH-MASCHINE kommt in Bewegung. Ein bisschen enttäuschend dagegen ist die Umstellung der Setlist – „Die Roboter“ kann aus technischen Gründen erst im Zugabenteil gespielt werden, weil der Song nicht von den Menschen, sondern von den Robotern „performt“ wird. Und so folgt wieder nach einer halben Stunde der eineinhalbstündige Hit-Block, der wieder von „Autobahn“ eröffnet wird. Aber was für eine Version! Fast 16 Minuten lang (wir haben nicht mitgestoppt um unserem direkten Umfeld als nicht noch nerdiger zu erscheinen) spielen sich Kraftwerk förmlich in einen Rausch.
Mit dem Album DIE MENSCH-MASCHINE haben Kraftwerk auch ihr Image redesignt. Graue Hosen, rote Hemden, schwarze Krawatten als Uniform. Haben wir eigentlich schon über den Style der Pro- und Antagonisten in der Neuen Nationalgalerie gesprochen? Nein? Die Stylerevolution ist jeden Abend auf der Bühne zu erleben: Ralf Hütter, Fritz Hilpert, Henning Schmitz und Falk Grieffenhagen in ihren hautengen, fluoreszierenden Spider-Man-Anzügen. Und vor der Bühne: ein paar angejahrte Fans in MENSCH-MASCHINE-Optik mit roten Hemden und schwarzen Krawatten. Weil ein Kraftwerk-Konzert aber auch ein gesellschaftliches Event darstellt, zeigen sich an jedem Abend jede Menge Nicht-Fans, aufgetakelte Prominente und unprominente HipsterInnen, die wie Prominente wirken wollen. Nur: sie haben leider keine Plattform für ihre Schauen. In dem quadratischen Bau ist es vor dem Konzert so dunkel, dass kaum die Hand vor Augen zu sehen ist, und während des Auftritts und unter dem Bühnenlicht interessiert sich niemand für Louboutin-Schuhe, Minikleider und andere Hauchs von Nichts. Vor Kraftwerk sind sie alle gleich, das 1,85 Meter große Model und der schmerbäuchige 50-Jährige mit lichtem Haar.
Notiz an mich selbst: Mal Wilson Gonzales Ochsenknecht fragen, warum er gestern nicht da war.
Kraftwerk live am 9. Januar 2015 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin – die Setlist des „DIE MENSCH-MASCHINE“-Konzerts:
Die Mensch-Maschine
Spacelab
Das Model
Neonlicht
Metropolis
—
Autobahn
Ätherwellen
Nachrichten
Radioaktivität
Nummern
Computerwelt
It’s More Fun To Compute
Heimcomputer
Computerliebe
Tour de France (1983)
Tour de France (2003)
Trans Europa Express
Metall auf Metall
Abzug
—
Die Roboter
—
Planet der Visionen
Boing Boom Tschak
Techno Pop
Musique Non-Stop
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Was vorher geschah:
Albert Koch über Kraftwerk im Museum, Tag 3: „TRANS EUROPA EXPRESS“
Albert Koch über Kraftwerk im Museum, Tag 2: „RADIO-AKTIVITÄT“
Albert Koch über Kraftwerk im Museum, Tag 1: „AUTOBAHN“
Es folgen Konzertberichte der vier noch ausstehenden Kraftwerk-Shows ihrer 3-D-Konzertreihe „Der Katalog – 1 2 3 4 5 6 7 8“