Fatih Akin im Interview: „Dabei wollte ich doch nach Hollywood!“


Ab Donnerstag ist Fatih Akins neuer Film „Tschick“ in den Kinos. Es ist die erste Auftragsarbeit des Regisseurs, der mit „Gegen die Wand“ seinen Durchbruch feierte. Im Interview spricht er außerdem über die aktuelle Lage in der Türkei und seine nächste Romanverfilmung.

Nach dem Durchbruch mit „Gegen die Wand“ hast du die Dokumentation „Crossing The Bridge“ gemacht, seitdem wechseln größere und kleinere Projekte einander ab. Teil eines Erdungsprogramms?

Ich experimentiere, wie gesagt, gerne und habe keine Scheu vor verschiedenen Genres. Einer meiner Lieblingsregisseure ist Steven Soderbergh. Der hat nach „Sex, Lies, and Videotape“ ewig rumgedaddelt, war irgendwann pleite, musste einen Auftrag annehmen. Und das war dann „Out Of Sight“ – Bang! Nachdem er zigmal auf die Fresse gefallen war, zeigt er plötzlich allen: So geht das, Leute! Bewundernswerter Ansatz.

Ähnlich wie Soderbergh scheinst du dich großen Projekten mit der gleichen Akribie zu widmen wie vermeintlich kleinen.

Aus ganz pragmatischen Gründen: Ich muss mit den Filmen leben, ihnen in die Augen schauen können. Emir Kusturica hat gesagt, man mache immer den Film, für den man sich nicht schämt. Natürlich hat mir „Tschick“ neue Möglichkeiten geboten und ich bin froh, dass das geklappt hat. So was habe ich noch nie gemacht. „Hier hast du den Auftrag, das ist der Roman, verfilm das bitte.“ Und dann geht’s in sieben Wochen los! Der Film war für mich ein Beweis, dass ich als Regisseur arbeiten kann und nicht immer Filmemacher sein muss.

Was ist für dich der Unterschied?

Die Definition des Filmemachers ist für mich: Ich schreibe, produziere und drehe. Regie und Filmemachen sind komplett verschiedene Sportarten. Der Markt hat sich so verändert, dass ich meine Firma auf Dauer nicht mehr nur vom Filmemachen finanzieren kann. Ich werde von Zeit zu Zeit solche Aufträge annehmen müssen. Zum Beispiel habe ich gerade Marius Müller-Westernhagen unplugged gefilmt. Darauf bin ich auch voll stolz!

Bist du bei diesem Projekt ähnlich wie Martin Scorsese mit „Shine A Light“ einer persönlichen Leidenschaft gefolgt, oder war das klassisches Auftragsprogramm?

Westernhagen ist wie Urvertrauen: Auch wenn du keine Platte hast, kennst du jede Textzeile. Außerdem mochte ich ihn, also habe ich zugesagt. Obwohl ich finde, dass „MTV Unplugged“ von den Kameras und der Bildsprache her ein ziemlich flaches Format ist. Aber dann habe ich gehört, wie er seine Musik für die Show umarrangiert hat, und dachte: „Ach komm, wir sprengen das Format und machen das jetzt mit 17 Kameras.“ (lacht)

Wir brauchten den richtigen Schluss und konnten uns nicht einigen.

Im „Tschick“-Abspann kommt es zu einem Stelldichein des Pop-Hamburg der 90er-Jahre: Zuerst läuft „Thomas Anders“ vom neuen Beginner-Album, anschließend covern die Beatsteaks und Dirk von Lowtzow „French Disco“ von Stereolab. Klärt man derartige Kooperationen in Hamburg am Tresen?

Dirk von Lowtzow und Beatsteaks veröffentlichen „Tschick“-Titelsong
Mit den Beginnern läuft das tatsächlich so. Die Beatsteaks-Nummer war aber ein Vorschlag von Milena Fessmann, die die Musikberatung für den Film gemacht hat. Wir brauchten den richtigen Schluss und konnten uns nicht einigen. In dieser Situation tauchte der Track auf und es gab die Option, dass die Beatsteaks ihn covern. Dann kam der Song – und plötzlich singt da Dirk! Wusste ich vorher gar nicht. Ich sag: „Warum das denn?“ Und Arnim Teutoburg-Weiss so: „Ist nicht meine Tonart.“ (lacht)

Tocotronic, die Beginner, du und viele andere Leute aus ganz unterschiedlichen Bereichen haben damals in Hamburg die Subkultur extrem geprägt.

Ein bisschen ist es immer noch so.

Nachgekommen ist da nicht so viel, oder?

Aktuell gibt’s zum Beispiel Gzuz.

Ich bin mir nicht sicher, ob der sich mit Jochen Distelmeyer verstehen würde.

(lacht) Nee, stimmt, das ist irgendwie verebbt.

Mir ging es um den politischen Ansatz dieser lose miteinander verbundenen Szenen. Das folgte doch einem ähnlichen Geist – der heute vielleicht ein gutes Gegengewicht wäre zu Elbphilharmonie und komplett kommerzialisiertem Kiez.

Vieles bekomme ich gar nicht mehr so richtig mit. Ich gehe zum Beispiel nicht mehr besonders viel aus: Kinder, Hund … Wenn ich ausgehe, ist mein Kiez ganz eindeutig der Hamburger Berg. Kurze Straße, gute Bars, immer noch geil. „Roschinsky’s“, „Zum Goldenen Handschuh“, „Lunacy“.

Dem „Goldenen Handschuh“ hat Heinz Strunk mit seinem neuen Buch ein Denkmal errichtet. Schon gelesen?

Ich verfilme das sogar! Literaturverfilmungen sind jetzt mein neues Genre. (lacht) Ich war vorgestern noch mit Strunk zusammen deswegen. Er hat ein großes Buch geschrieben, das muss man wirklich sagen. Seine anderen Bücher waren eher so Kabarettdinger: Haha, hoho, er kann lustig schreiben. Das jetzt ist eine ganz andere Nummer!

Ein Kiezroman über einen legendären Kriminalfall.

Nach „Tschick“: Fatih Akin verfilmt „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk
Das auch. Außerdem ein Horrorroman, ein Krimi. An den besten Stellen erinnert das Buch an Louis-Ferdinand Céline. Das ist ein großer Hamburg-Roman! Ich wollte das sofort verfilmen, so ähnlich war es auch bei „Tschick“. Dabei wollte ich doch eigentlich nach Hollywood, mit Kirsten Dunst arbeiten … Und dann geht’s bei Strunk wieder um Suff und Außenseiter, eigentlich bin ich da drüber weg. Aber es ist eben wirklich DER Hamburg-Roman!

Und Hamburg ist deine Stadt.

Total meine Stadt. Also muss ich das verfilmen, geht praktisch nicht anders.

Und was ist jetzt mit Kirsten Dunst?

Ich schreibe etwas für sie. Und mit Diane Krüger mache ich vorher auch noch was. Also immerhin ein bisschen Hollywood. Aber die hole ich nach Hamburg oder nach Berlin. Das wird ein Film in der Tradition von „Gegen die Wand“. Du siehst, ich komme aus der Nummer nicht raus. (lacht)