Atoms for Peace :: Amok
XL/Beggars/Indigo (VÖ: 22.2.)
Klagelieder auf höchstem elektronischen Niveau: Das Album der „Supergroup“ mit Thom Yorke, Flea (Red Hot Chili Peppers) und Radiohead-Produzent Nigel Godrich.
Nein, es handelt sich nur um ein Gerücht. Nicht jedes Album, an dem Radiohead-Sänger/Gitarrist/Songschreiber/Keyboarder Thom Yorke maßgeblich beteiligt ist, wird automatisch zur „Platte des Monats“ in diesem Heft. Die Auszeichnung war bislang nur Platten von Radiohead vorbehalten – gar nicht mal so wenigen seit KID A. Ein Album allerdings, das sehr viel über Thom Yorke aussagt, über seine musikalischen Vorlieben und seine Auskennerschaft in der zeitgenössischen elektronischen Musik, ist damals durchs Auszeichnungsraster gefallen: Yorkes Solodebüt THE ERASER aus dem Jahr 2006. Doch genau dieses Album ist indirekt für die Existenz des Projekts Atoms For Peace und dessen Debütalbum AMOK verantwortlich.
Dass die Uhren in der Galaxie des Thom Yorke anders laufen als im Rest des musikalischen Universums, ist schon seit ein paar Spielzeiten bekannt. Auch die erste Veröffentlichung von Atoms For Peace im Sommer des vergangenen Jahres lieferte weitere Indizien dafür. Sie enthielt keinen einzigen Original-Track der Band. Es war eine Remix-12-Inch, die auf dem 50-Weapons-Label von Modeselektor erschien: ein „Fremd“- („Tamer Animals“ von Other Lives) und ein „Eigenremix“ (des im Original noch nicht veröffentlichten Tracks „Other Side“). Es ist eine seltsame Truppe, die Thom Yorke für sein neuestes Nebenprojekt versammelt hat: Radiohead-Produzent Nigel Godrich, Red-Hot-Chili-Peppers-Bassist Flea, sowie die beiden Sessionmusiker Joey Waronker (Beck, R.E.M.) und Mauro Refosco. Die Band, die sich Atoms For Peace nennt – nach einem Solosong Yorkes, der sich wiederum auf eine Rede des einstigen US-Präsidenten und Kalten Kriegers Dwight D. Eisenhower bezieht – kam im Jahr 2009 zusammen, um die Musik von Thom Yorkes Solo-Album auf die Bühnen (vornehmlich in den USA) zu bringen. THE ERASER, auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen, ist ein übersehenes Album und immer noch ein Meisterwerk. Es bot dieses Mehr an Elektronik und Experimentierlust, das man auf den letzten Radiohead-Platten vermissen konnte. Dieses Album und die diversen Projekte/Kollaborationen mit Four Tet, Burial und Modeselektor zeigten, dass Thom Yorke nach wie vor auf der Höhe der elektronischen Zeit ist. Es wundert also nicht, dass die ERASER-Live-Band auf ihrem ersten Studioalbum ERASER-nahe Musik spielt. Laut Aussage von Flea sind die Songs von AMOK bei einer dreitägigen Jamsession entstanden: Kleinteilige, Four-Tet-ige Elektronik-Fragmente werden zu einer windschiefen, aber organischen Musik verbunden. Wir hören Klacker-Beats, flächige Synthesizersounds, miteinander konkurrierende Rhythmusschleifen, Gitarren als Soundquellen, ungitarristisch eingesetzt, ein paar kurze Novelty-Elektronik-Passagen, Yorkes verhuschten Gesang, der im Gesamtbild wie ein eigenes Instrument wirkt, und das ökonomische, im Mix aber sehr präsente Bassspiel von Chili Pepper Flea.
Es gibt auf diesem Album verhaltene Referenzen an die diversen zeitgenössischen (Post-)Bassmusiken („Default“, „Judge, Jury And Executioner“, „Amok“), aber kaum ein Beat auf AMOK wäre dazu geeignet, das Tänzchen im Kopf auf den Boden der Realität zu verlegen. Am Ende aber macht Thom Yorkes hohe Stimme dann doch wieder Radiohead-Musik aus diesen elektronischen Klageliedern. Und Flea, das Testosteron-spritzende, tätowierte Muskelpaket, im richtigen Leben zuständig für grobmotorischen ROCK in Großbuchstaben? Er sammelt nach seiner Teilnahme am Afrofunk-Projekt Rocketjuice And The Moon mit Damon Albarn und Tony Allen im vergangenen Jahr weitere Sympathiepunkte für eine Filigranarbeit, die man ihm nicht zugetraut hätte.
***** Albert Koch
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