Lily Allen – It’s Not Me, It’s You :: Ein flockiges „Fuck You“
Man braucht ein bisschen Geduld, nicht nur weil der ehemalige Musikkonzern EMI das zweite Album eines seiner letzten verbliebenen Zugpferde ein Dreivierteljahr lang nicht herausrücken wollte und vorab auch nur zerhackten Stream-Salat anbietet. Wenn man dann nicht ganz genau hinhört, könnte man bis gut zur Hälfte meinen, der Gosche des Jahres 2006 sei ihre Giftwitzdrüse abhandengekommen: Es wirkt aufs erste Hören irgendwie mild, zart, fast ein bisschen brav, was Joe Strummers Patentochter in manchen ihrer neuen Songs mehr säuselt als singt. Man fragt sich, ob die Maßregelungen der 13 Schulen, von denen sie nicht wenige wegen Verstößen gegen Alkohol- und Tabakverbote verlassen musste, auf lange Sicht doch fruchtbar waren, ob die seelischen Narben von der vor einem Jahr erlittenen Fehlgeburt ihr Gemüt nachhaltig trüben – selbst das fröhlich-freche „Fuck You“ wirkt irgendwie aufgesetzt, wie der Versuch, die alte, fröhlich rauchende, trinkende und fluchende Lily noch mal nachzustellen. Aber da muss man eben genauer hinhören, darf sich nicht trügen lassen von den flockigen, elektronisch kühlen, leicht anmelancholisierten und mit Zitaten von Led Zeppelin bis Take That gespickten Songs, von denen sich nicht viele gleich öffnen. Doch die Geduld zahlt sich aus, es steckt nämlich viel mehr drin, als man zunächst meint und wohl auch erwartet hat, an Tiefe, Gefühl, Hintergrund. In „Hirn“ etwa sinniert Lily über ihn da droben im Himmel, was er wohl von den nichtigen Ränken und Schwänken auf Erden denkt (und ob er zum Autofahren eine Versicherung braucht und schon mal an Selbstmord gedacht hat), in „Chinese“ über die Sehnsucht nach einem ganz normalen Alltag mit Glotze und Lieferessen, und das ist im Einzelnen wie insgesamt glaubwürdig und rührend. Es geht auch direkter: „How on earth can I be arty move obvious?“, zickt sie in dem Abba-mäßig eingängigen Schunkel-Ohrwurm „Never Gonna Happen“, einem von nur drei oder vier deutlich auf Single getrimmten Tracks, aber auch hier fehlt das Augenzwinkern und die Zunge in der Backe, und spätestens da hat man verstanden, dass das Erwachsenwerden halt keine ganz so einfache Sache ist. Lily Allen meistert es mit Würde, ohne altkluges Getue und Gejammer, nachdenklich und dennoch irgendwie unbeschwert. Ein kaum spektakuläres Album zum langsamen Liebgewinnen – hätte man das von Lily Allen erwartet? Wohl kaum, um so schöner ist’s.
VÖ: 6.2.
lilyallenmusic.com
Sory S. 21
Mehr News und Stories