Babyshambles – Shotter’s Nation :: Großer, klassischer Pop
Nein, Peter Doherty ist kein gesunder Mann, auch wenn er vieles, was ihm in den letzten Jahren seinen Ruf verschafft (und ruiniert) hat, nicht mehr tut, auch wenn seine Stimme im Vergleich zum ersten Babyshambles-Album heute erstaunlich treffsicher und nicht mehr so klingt, als trüge er ein halbes Pfund Milchpulver in den Nebenhöhlen spazieren. Nach wie vor leidet er an der Welt, an sich selbst, an der Liebe, aber dieses Leid ist, um den Dichter Georg Eggers zu zitieren, Grundlage jeder Kulturarbeit und Kunst. Wenn man’s schafft, es richtig umzusetzen, heißt das, und da ist Doherty gewiss ein Problemfall – bewusstlos in der Gegend herumzustürzen zählt nicht als richtige Umsetzung. Aber messen muss man ihn an dem, was bleibt, und nachdem die ersten vier Songs dieser Platte in einem schäumenden Fluß von geilen Riffs, wunderbaren Melodien, mitreißendem Schwung und, ja doch: Lebensfreude ein trübes Zimmer mit Sonnenfunkeln erfüllt haben, ist jegliche Furcht vor einem Ein- oder Zusammenbruch verflogen. Der Opener „Carry On Up The Morning“ schließt per Titel (fast) direkt an Down In Albion an und setzt schon mal ein deutliches Zeichen: Das klirrt, kracht und ohrwurmt mit einer Kraft und Energie, die man wohl auch dem Produzenten zuschreiben muss-während Mick Jones beim Debüt die (nicht genug zu lobende) Sisyphosarbeit auf sich nahm, das Chaos so komplett wie nur möglich zu dokumentieren und zu einem Kunstwerk zu „redigieren“, setzte Stephen Street ganz offensichtlich von Anfang an auf Konzentration und Destillation und trug so dazu bei, nicht noch ein historisches Rock’n’Roll-Dokument zu schaffen, sondern ein kantiges, struppiges, aber rundum perfektes Popalbum. Die Single „Delivery“ setzt die Methode des Anknüpfens und Zitierens fort: Das Riff erinnert an die Kinks, aber für den hyperlässigen, unwiderstehlichen Refrain hätte Ray Davies wohl selbst zu seinen besten Zeiten seinen Bruder verkauft. „You Talk“ (Tongue-in-cheek-Anspielung diesmal: Blondies „One Way Or Another“) zeigt Doherty bei einem seltenen Balanceakt zwischen Zorn und Witz und schillert ebenso mit Breaks, Einwürfen und wunderschönen Übergängen, und „UnBilotitled“ (eine Gang-Familiengeschichte um das notorische Trio Doherty, Gitarrist Mik Whitnall und Wolfman) ist ein so herrlich strahlender Popsong, dass man sich auf den Boden werfen und heulen möchte vor Freude. Nach dem wütenden Reißer „Side Of The Road“ (als Demo seit vier Jahren im Umlauf, aber kaum wiederzuerkennen) schrammt „Crumb Begging“ an der Grenze zum Standard-Rock entlang, aber es rockt breit und schwer, und mit dem ganz untypischen, hinreißend schwerelos schwebenden „UnStookie Titled“ (incl. „Fuck Forever“-Zitat, zwinker, zwinker) folgt sofort der nächste Höhepunkt. Wenn man die namensgebenden „Shambles“ sucht, die die Band und ihr Chef vor allem auf ihren frühen Singles so ostentativ zur Schau stellten, dass man nahe daran war, zu denken: „Okay, wir wissen jetzt, wie kaputt ihr seid! Zurück zur Musik!“, sind „French Dog Blues“ (Intro-Riff: „Time Is Tight“, Clash-Version; der Titel bezieht sich auf das putzige Hündchen, das das Cover des Debütalbums zierte) und „Baddies Boogie“ immerhin halbe Treffer: Da erschlafft der Chorus-Muskel vorübergehend etwas. Charmant sind sie trotzdem, und ein schöner Kontrastrahmen zur (vorläufig) letzten Folge der Katy-Saga, dem tränenzart jazzig hin getupften „There She Goes“. Das hymnische „Deft Left Hand“ und die bezaubernde, traumverlorene Ballade „The Lost Art Of Murder“ (mit einem Gitarrengeschenk von der schottischen Folk-Legende Bert Jansch) beschließen ein Album, das sein hohes Niveau nicht nur über die gesamte Länge hält, sondern streckenweise noch übertrifft. Nein, das ist kein Entzugs-Workshop, keine Leckt-mich-am-Arsch-Schaustellerei eines erbarmungswürdigen öffentlichen Irren, sondern große, klassische, souveräne englische Popmusik von einer Schönheit und Wahrheit, wie man sie selten findet. Eine Platte wie’s Leben, fürs Leben. (Und wer dem Sailer-Depp in Sachen Doherty schon lange nichts mehr glaubt, der möge meinetwegen einen Stern wegstreichen, es aber bitte trotzdem probieren – Ihr werdet schon sehen!)
www.frenchdogblues.com
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