Blur :: Think Tank
Was soll man davon halten, wenn eine Band, die kreativ zuletzt zwar okay im Futter stand, bei der sich aber 97 Prozent aller Interessierten auf das berühmte „Früher waren sie besser“ einigen können, bei ihrem siebten Album plötzlich von der nicht weniger berühmten „besten Platte, die wir je gemacht haben“, schwadroniert? Noch dazu, nachdem sie sich für die Aufnahmen eines allseits als Schlüsselfigur betrachteten Mitgliedes entledigt hat? Skepsis ist angezeigt. Und Skepsis waltete bei der diesen Monat besonders hitzigen Diskussion über die „Platte des Monats“. Fest steht: Think Tank ist nicht die beste Platte, die Blur je gemacht haben. Aber in jedem Fall die Arbeit einer Band, die noch etwas beweisen will – und mitunter recht gute Argumente an den Start gebracht hat.
Der erste Eindruck von Think Tank ist der ausgesprochener Heterogenität. Das liegt vor allem an den beiden ziemlich unklar motivierten Gitarrenrockern, die aus der Platte herausragen wie Teile eines falschen Puzzles: „Crazy Beat“ ein spaßiger Dreiminuten-Trasher a la „Song 2“, und die Punk-Vignette „We’ve Got A File On You“ dürften dankbare Live-Bringer werden, wirken hier aber deplatziert und cheesy. Denkt/programmiert man die beiden Irritatoren weg, erhält Think Tank eine ganz neue Dynamik und Kohärenz.
Think Tank ist weder das Dance- noch das World Music-Album geworden, das Gerüchte prophezeit hatten, bewegt sich aber mit mehr als deutlichen Anklängen an Damon Albarns Gorillaz- und Mali-Exkursen sowie hörbar beeinflusst durch die Marokko-Reise der Band noch einmal einen klaren Schritt weiter weg von den Mod-ismen früher Tage. Vielleicht ist Think Tank das erste Blur-Album, das – unter sporadischer Mitmischung von Norman Cook und William Orbit – hingebungsvoller dem Groove und dem Sound hinterherforscht als dem Song. Nenn es hochauflösenden Polit-Ethno-Art-Pop: Überall gibt es kleine verschachtelte Rhythmik-Raffinessen und feinpixelige Klangmosaike, kunstvoll gefügte Synth/Bläser/ Sample/Vokalflächen, vom dräuenden Opener „Ambulance“ über die warmherzige Single „Out Of Time“ zum lieblichen Double „Good Song“ und „Sweet Song“.
Die große Pop-Hymne sucht man vergeblich, dafür findet man nonchalante Catchyness, vertrackten Swing und klangliche Detailverliebtheit, die das Album wachsen und wachsen lassen – wenn man es lässt. Man höre nur „On The Way To The Club“ mit seinem schiebenden Dub-Bass, das Gorillaz-esque „Brothers And Sisters“ mit seinen Schachtel-Beats unter bluesigem Gitarrenlick, den polyrhythmisch eiernden „Maroccan Peoples Revolutionary Bowls Club“, das ausgelassen worldmusikalisch klappernde „Gene By Gene“ mit seinem guietschenden Bettgestell-Sample und natürlich die unscheinbare, herrlich träge Arabeske „Caravan“ mit ihrer bezaubernden Harmoniumfigur. Wie weit Graham Coxons Abwesenheit zu Buche schlägt, kann man freilich nur ahnen. Klar ist, dass er gegen kunstgewerblerische Ausufereien wie den dudeligen Jam von „Jets“ (am Saxofon: Lisa Simpson?) wohl unter Einsatz seiner körperlichen Unversehrtheit vorgegangen wäre. Nur auf dem Bowie/Eno/ Radioheadigen Schlusstrack „Battery In Vour Leg“ ist Coxon zu hören. Und da wird klar, wie viel weniger Skepsis noch angebracht wäre, wenn er noch Mitglied von Blur wäre.
www.blurco.uk
Discografie (reguläre Alben):
1991 Leisure
1993 Modern Life Is Rubbish
1994 Parklife
1995 The Great Escape
1997 Blur
1999 13
2003 Think Tank (alle Parlophone/Capilol)
Senf dazu?
MUSIKEXPRESS-Redakteure über die Platte des Monats:
Manche kritteln ja rum, dass ihnen Damon Albarn & Co. in den vergangenen Jahren zu viel herumexperimentieren und zu verspielt sind – ich find‘ aber genau das gut: Endlich einmal eine britische Band, die ihre Erfolgsformel nicht von Album zu Album nur leicht variiert. „Think Tank“ wird mich durch das Jahr begleiten, da bin ich mir sicher.
Christian Stolberg
Klanglich ist „Think Tank“ ja ganz wunderbar. Mir fehlt nur ein bisschen die Substanz. Ein paar mehr Stücke wie „Good Song“ und „Sweet Song“- Songs eben -. und ich könnte mich mit dem Album schon anfreunden.
Christoph Lindemann
Verzeihung, ich muss da jetzt mal ein bisschen weiter ausholen als sonst. Als ich „Think Tank“ zum ersten Mal gehört habe unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und unter Beobachtung der zuständigen Plattenfirma -, dachte ich: „Hm, denen ist wohl kein anderes Album eingefallen“. Aber: Diese Platte wächst und wächst und wächst, bis sie so groß wird wie, na ja, nicht unbedingt der Mount Everest, aber zumindest wie der Wendelstein. Gegen „Think Tank“ ist die letzte Oasis so groß wie der Muppberg in Neustadt bei Coburg. Und was die Substanz betrifft, Christoph, es gibt ja nicht nur Songschreiber- sondern auch Soundästhetik-Substanz. Oder wie jetzt? Albert Koch
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