„Danke für nichts“: Die Wahrheit über Die Böhsen Onkelz


Spurensuche im Kumpelrock: ME-Redakteur Fabian Soethof erinnert sich an eine Dorfjugend und damit den Keim von Identitätssuchen und des hymnischen Stumpfsinns.

„Stumpfsinn hat so viele Namen“, sang die deutsche Punkrockpopband Jupiter Jones 2003 auf ihrer ersten EP „Auf das Leben“ im Song „Endorphinbatterie“, und „Böhse Onkelz“ ist einer dieser Namen. Während der Jupiter-Jones-Sänger Nicholas Müller 2013 lautstark in Interviews und auf Facebook gegen Frei.Wild argumentierte, ahnte noch niemand, dass diese Farce und Sätze wie „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ und „Die sind nicht rechts, Ihr habt doch keine Ahnung“ nicht mal ein Jahr später einen neuen Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt erreichen würden.

Niederrhein. Irgendeine Scheunenfete, Dorfdisco oder Garagengeburtstagsparty Mitte der Neunziger. Nachts um 2. Das Freibier neigt sich dem Ende, die Fässer sind bald leer. Die Köpfe sind es längst, ihre Träger dafür umso voller. Die Party hat ihren Höhepunkt schon hinter sich, vielleicht gab es gar keinen. AC/DC, Nirvana, Die Ärzte, Rage Against The Machine, Guns N’ Roses, der DJ hat kaum mehr ein Ass im Ärmel. Wenn da nicht noch die Böhsen Onkelz wären, mit ihren Drei-Promille-Hymnen und Zeilen wie „Wir ham noch lange nicht genug“, „Wir sind Kneipenterroristen“ und „Nur die Besten sterben jung“. Zu besoffen zum knutschen oder sprechen, zu nüchtern um nach Hause zu stolpern? Egal! Sich grölend in den Armen liegen – bei den Onkelz kann jeder mitmachen, auch mit Kotze auf dem Hemd und Pipi in der Hose. Menschen, die damals die Böhsen Onkelz hörten, mochten auch Tom Angelripper und Dimple Minds. Und hey, unter der Theke liegen ja noch ein paar Flaschen Schnaps! Wer radelt zur Tanke und holt neues Bier?

Die Böhsen Onkelz trafen die Dorfjugenden dieses Landes zu einer Zeit, da sie, wie jede Generation in ihrer Pubertät, besonders anfällig für andere Musik waren. Die Bravo-Hits kannte man schon aus dem Lokalradio und von EinsLive, Die Toten Hosen und Die Ärzte begeisterten dich als 13-16-Jähriger. Es musste Härteres her, und die Böhsen Onkelz kamen da mit ihrem damaligen Major-Debüt HIER SIND DIE ONKELZ 1995 wie gerufen. Von Pädophilen-Schunklern wie „Viel zu jung“ („Du wirst gefickt von deinem Vater, deinem eigenen Fleisch und Blut“) und Kämpfer-Plattitüden wie „Wer nichts wagt, kann nichts verlieren“ ging der Reiz des Verbotenen aus, die scheinbare Überschreitung moralischer Konventionen. Mindestens aber ein diffuses Gefühl des Kampfes mit sich selbst und eine Mittelfinger-Haltung gegen jegliche sozialen Erwartungshaltungen. Sie schufen scheinbar ein gemeinsames Etwas. Dass das damals schon Kalkül gewesen sein mag, merkte die Zielgruppe nicht, im Gegenteil, „wie echt und authentisch die Onkelz doch sind!“ Rammstein waren das nicht, die waren zwar hart und pervers und obendrein neu, aber gleichzeitig schon damals ein offenkundigeres Kunstprodukt. Die Böhsen Onkelz aber, ja, das war die Musik des kleinen Mannes. Der damaligen „Man wird das doch wohl noch sagen dürfen“-Fraktion. Und der heutigen wieder.

„Die Böhsen Onkelz sind nicht rechts!“

Die Onkelz sind zurück, neun Jahre nach ihrer Trennung und fünf Jahre nach der Gefängnisstrafe ihres Sängers Kevin Russell wegen Fahrerflucht und anschließender Therapie. Sie feiern sich selbst und ihre Reunion, spielen im Sommer zwei bereits ausverkaufte Konzerte am Hockenheimring. Es war, ist und bleibt so absurd wie perfide, die aktuelle Medienberichterstattung und ihr Echo in den sozialen Netzwerken zeigen das eindrucksvoll: Mit jedem Satz, den man gegen Bands wie die Böhsen Onkelz sagt, spielt man den sehr kurzen Argumentationsketten einiger ihrer Fans in die Hände beziehungsweise Hirne. „Die Onkelz sind nicht rechts!“, „Die sagen noch was sie denken!“, „Hört Euch doch mal die Texte richtig an!“ etc. pp. hört man sie nun wieder an allen Ecken rufen, Facebook ist voll davon, auch die Kommentare unter diesem Text hier werden nicht ohne reflexartige Angriffe auskommen. Und dann kommt es, wie von ihren Helden prophezeit: Man wird einfach da draußen nicht verstanden, von den Medien, den Kritikern, womöglich gar den angeblichen Neidern. Die Onkelz, unsere Märtyrer! Ein Teufelskreis, den man eigentlich nur durch Ignoranz brechen kann – damit aber gleichzeitig verkennen würde, dass 100 Millionen Fliegen beziehungsweise 100.000 Ticketkäufer zwar doch irren können, wenn sie auf Scheiße stehen beziehungsweise nach Hockenheim fahren, aber leider trotzdem 100 Millionen Fliegen bleiben. „Bloß Bierdosenrock aus Frankfurt, wenn auch mit ziemlich großer Dose“, beschreibt Joachim Hentschel die Musik der Böhsen Onkelz entsprechend in einem klugen Text in der Süddeutschen Zeitung. Er schreibt aber auch, dass die schiere Präsenz solcher „Sumpfgestalten“ besonders schmerzhaft daran erinnere, „welche ekelerregenden Formen von Zeichenspiel und Dissidenz eben auch möglich sind im Rahmen dessen, was man schillernd und genreübergreifend Pop nennt.“

Wenn sich immer noch wer fragt, warum die Böhsen Onkelz scheiße sind, möge er oder sie gerne in einen der besagten Songs reinhören: eine Handvoll Akkorde, hier ein Solo, da ein Riff, billige Hymnenhascherei durch mehrstimmig geröhrte Refrains – all das ist nicht mehr als ein Leichenfleddern in der Klamottenkiste des Rock, Hardrock, Metal und Blues. Dass sich immerhin die zuvor miese Aufnahmequalität nach dem Majorwechsel verbessert hat und das gleichzeitig keine Ausverkaufs-Nachrufe nach sich zog, spricht irgendwie ja doch schon dafür, dass die Onkelz nie wirklich Teil einer sich als Punk verstandenen Szene waren. Nein, sie wollten – Achtung, Unterstellung – einfach nur stumpfe Musik für die Massen. Im Zusammenhang mit den Allgemeinplatz-Texten (Größenwahn, Kampfgeist, Wir gegen die anderen, saufen, you name it) spricht das zuerst den unmündigen Menschen an und behauptet dabei das Gegenteil. Manche sprechen deshalb irrenderweise noch immer von Provokation und Tabubruch, was perfiderweise wiederum zu Reflexen wie den bereits geschilderten führt. In Wahrheit ist diese Masche aber einfach nur platt.

Versteht mich nicht falsch, liebe Onkelz-Fans. Ich sage nicht, dass Ihr alle Idioten, Rechtsradikale, Faschisten oder gar Neonazis seid – die Jungs damals auf den Freibier-Partys (Mittelklasse, wohlgemerkt, kein sozialer Brennpunkt) waren es übrigens auch nicht, sie waren nur sehr oft sehr betrunken. Nein, ich sage nicht mal, dass es die Böhsen Onkelz selber sind, auch wenn sie es ziemlich eindeutig mal waren („Türken raus“ aus dem Jahr 1981, irgendwer?). Auch ich habe damals bestimmt mal mitgegrölt, kann oder will mich aus verschiedenen Gründen aber nicht so recht erinnern. Mein Glück war vielleicht lediglich, dass ich mich damals schon beziehungsweise noch von Grunge verstanden glaubte und danach Hard- und Emocore entdeckte. Es hätte auch mich treffen können.

…aber stumpf darf man ihre Musik trotzdem finden

Bitte: Von mir aus sollen die Leute auch weiterhin ihre Onkelz hören, sie sollen sich nur nicht beschweren, wenn andere diese Musik und manchmal eben doch ihre Hörer selbst scheiße finden und sie bekehren wollen. Ich mag zum Beispiel gerne Bon Iver und Kanye West. Wenn ich mir deshalb nun selbst Vorwürfe anhören müsste, dass ich wegen solch weinerlicher Musik bestimmt einen kleinen Pimmel habe und das mit Wests Testosteron-Haushalt kompensieren wolle – es könnte mir egaler nicht sein.

Es geht nämlich gar nicht allein um dunkelbraune Vergangenheiten und darum, dass Musik wie die der Böhsen Onkelz niederste Instinkte bedient und mit ihrem „exklusiven Nationalismus“ „Rechten und Rechtsextremen in die Hände spielt“, wie es Nicholas Müller von Jupiter Jones damals über Frei.Wild sagte. Es geht in aller Kürze und Pragmatik schlichtweg um das viel Offensichtlichere, das Olli Schulz in einem legendären Monolog in der TV-Sendung „Roche & Böhmermann“ wie folgt auf den Punkt brachte: „Das ist egal, ob die rechts waren oder nicht , das ist einfach scheiße! Das ist eine dumme Art von Musik!“ Und das wird man doch wohl noch sagen dürfen!

Aber hey, „der Erfolg gibt ihnen recht!“. Oder?